Cover: Schwarzwild
Georg Beining
Schwarzwild
- Der dritte Krimi "hart an der Grenze"
ISBN: 978-3-000-74708-3
284 Seiten | € 14.80
Buch [Taschenbuch]
Erscheinungsdatum:
01.03.2023
Krimi
Georg Beining

Schwarzwild

Der dritte Krimi "hart an der Grenze"


Auszug

Die Ankunft – Mai 2014
„Passeport?“„Perdu.“„Autre Document?“„Non.“„D’ou?“„Mali.“„Nom de Famille?“„Kandakó.“Der bullige Mann in der hellgrauen Uniform, ein kahlköpfiger und durchgeschwitzter Vice Brigadiere der italienischen Zollbehörde, kratzte mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand am Nacken hinter dem feuchten Kragen seines Oberhemds herum. Mit der Rechten kritzelte er mit einem Kugelschreiber etwas in die Zeile eines Formblattes ziemlich weit oben und machte darunter Kreuze in kleine Kästchen.„Prénom?“„Sidy.“Der Unteroffizier schrieb weiter, versuchte den Schweiß in seinem Gesicht mit einem grauen Papierhandtuch einzudämmen, welches er aus einem schmalen Karton gefummelt hatte, schnaufte, ließ dann einen Wind fahren, hielt es aber kaum für nötig, sich zu entschuldigen. Seine Französischkenntnisse reichten dazu auch gar nicht.Sidy Kandakó saß mit geradem Rücken auf dem ausgeleierten Küchenstuhl vor dem Metallschreibtisch des Zollbeamten und bewegte sich nicht. Er war erschöpft, versuchte aber, das nicht zu zeigen. Die Mittagssonne brannte, durch keine Wolke abgemildert, senkrecht auf den flachen braunen, mit grauem Wellblech gedeckten Holzbau, in dem das schlichte Registrierungsbüro untergebracht war. Der beleibte Italiener, der eigentlich aus dem Norden, aus der Nähe von Bergamo stammte und erst kürzlich hierher versetzt worden war, litt unter der reglosen glühenden Hitze im Raum und dem Dunst des Holzschutzmittels. Das sah und roch Sidy Kandakó, während er zum leeren Wasserglas auf dem Schreibtisch hinüberschielte.Der Mann aus Mali war diese Temperaturen gewohnt. Ihm steckte nur die lange Seereise in den Gliedern.„Attend dehors, á gauche!“Der Vice Brigadiere wedelte mit seinem Kugelschreiber vage nach links und bedeutete Sidy Kandakó, den Raum zu verlassen.Der tat, wie ihm aufgetragen, verschwand durch die Tür, zog sie sorgsam hinter sich zu, um bloß keinen Anschiss zu bekommen, und wandte sich nach links zu einem mit rostigen Bauzäunen abgegrenzten rechteckigen Areal von der Größe eines Tennisplatzes, in dem bereits etwa 50 andere Afrikaner, durchweg dunkelhäutige Männer jüngeren Alters wie er selbst, in der schattenlosen Glut herumstanden oder auf dem staubigen Betonboden hockten.Sidy Kandakó hegte keinen Groll gegenüber dem dicken Unteroffizier. Schließlich war jener nicht dafür verantwortlich, dass er sich auf dem uralten, vergammelten Seelenverkäufer, an dessen Rumpf anscheinend dutzende verschiedener Farbreste über Jahrzehnte verstrichen worden waren, gemeinsam mit 200 anderen Flüchtlingen, Männern, Frauen, kleinen und größeren Kindern, über das Mittelmeer von der tunesischen Hafenstadt Monastir auf den Weg nach Lampedusa gemacht hatte.Diese winzige, kaum mehr als acht Kilometer lange und bestenfalls dreitausend Meter breite italienische Insel, knapp 120 Kilometer entfernt von Tunesien, stellte schon seit mehr als zehn Jahren eine der Zufluchten dar für viele Nordafrikaner, die aus politischen, sozialen oder humanitären Gründen ihre Länder verlassen mussten oder wollten. Und die italienischen Zollbehörden hatten im Laufe der Jahre mit immer größeren Flüchtlingsströmen zu tun bekommen. Immerhin hatte man seit einiger Zeit zumindest für die elementarsten französischen Sprachkenntnisse bei den registrierenden Mitarbeitern der Guardia di Finanza gesorgt. Inzwischen verstanden die meisten Ankömmlinge wenigstens einigermaßen, was man im Hafen von Lampedusa mit ihnen vorhatte.Sidy Kandakó war im Morgengrauen mit den anderen am Schiffsanleger Molo Favolaro angekommen. Die Überfahrt war unkompliziert gewesen, das Mittelmeer glatt wie ein Spiegel. Die Flüchtlinge hatten Glück gehabt, in jeder Hinsicht. Im Mai war das nicht die Regel. Gute sieben Stunden hatte die Überfahrt gedauert. Auch das war in Ordnung.„Wo sind meine Leute?“, dachte Sidy Kandakó ein wenig besorgt, als er begann, die schmalen Gestalten, die um ihn kauerten oder standen, zu mustern. Dass man seine Reisegruppe nach ihrer Ankunft auf Lampedusa zerstreuen würde, damit hatte der Mann gerechnet, der drei Wochen zuvor im malischen Tomboctou mit seinem ausgefransten blauen Nike-Rucksack, in dem auch das zusammengesparte Geld für die Schiffspassage steckte, zu Fuß und per Anhalter in nordöstliche Richtung aufgebrochen war. Aber jetzt schienen die Ankömmlinge nach einem System aufgeteilt worden zu sein, dessen Sinn sich Sidy Kandakó nicht erschließen wollte. Groß gewachsene Nigerianer und Leute aus Mali, die er nicht kannte, waren nun seine Nachbarn, auch ivorische und algerische Dialekte glaubte er unterscheiden zu können.Er beschloss, abzuwarten. Was hätte er auch sonst tun sollen?Der Durst, der war kein Problem. Damit konnte er umgehen. Und der grüne Tankwagen, der vorn an der Mole unter dem Dach einer Agip-Tankstelle im Schatten wartete, der mochte statt Benzin vielleicht auch Wasser für die Ankömmlinge geladen haben.„Wenn sie wenigstens die Kinder versorgen…“, hoffte Sidy Kandakó. Und der hünenhafte Mann in seinen fadenscheinigen Jeans und dem blauen T-Shirt mit dem Shell-Logo verspürte erste leise Zweifel daran, dass seine Flucht aus der Heimat ein gutes Ende nehmen würde.

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Postleitzahl
Veröffentlichung:01.03.2023
Seiten284
Art des MediumsBuch [Taschenbuch]
Preis DEEUR 14.80
Preis ATEUR 15.30
Auflage1. Auflage
ISBN-13978-3-000-74708-3
ISBN-103000747087
EAN/ISBN

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