Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V.

Pandemie: Wissenschaft – Politik – Medien

Chronologie aller Bände (1 - 2)

Die Reihenfolge beginnt mit dem Buch "Pandemie: Wissenschaft – Politik – Medien". Wer alle Bücher der Reihe nach lesen möchte, sollte mit diesem Band von Lutz-Günther Fleischer beginnen. Die Reihe umfasst derzeit 2 Bände. Der neueste Band trägt den Titel "30 Jahre Leibniz-Sozietät – 30 Jahre Wissenschaftsentwicklung.".

  • Anzahl der Bewertungen für die gesamte Reihe: 0
  • Ø Bewertung der Reihe: 0
  • Start der Reihe: 01.09.2022
  • Neueste Folge: 05.07.2024

Diese Reihenfolge enthält 2 unterschiedliche Autoren.

Cover: Pandemie: Wissenschaft – Politik – Medien
  • Band: 152
  • Autor: Fleischer, Lutz-Günther
  • Anzahl Bewertungen: 0
  • Ø Bewertung:
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 01.09.2022
  • Genre: Politik

Pandemie: Wissenschaft – Politik – Medien

Der Band 152 der „Sitzungsberichte der Leibniz Sozietät der Wissenschaften zu Berlin“ vereint interdisziplinäre und transdisziplinäre wissenschaftliche Ausführungen sowie argumentativ begründete und empirisch gestützte Auffassungen von Disputanten zum Thema: Pandemie: Wissenschaft – Politik – Medien. Mit großer Resonanz veranstaltete die Leibniz-Sozietät am 14. Oktober 2021 dazu eine zum Denken anregende und zum Handeln bewegende Disputation. Die von den Disputanten aufgezeigten Perspektiven wurden von Mitgliedern unserer Gelehrtengesellschaft, die wir als Herausgeber um themenrelevante Beiträge für diesen Band ersucht haben, mit den Erkenntnissen, Mitteln und Methoden ihrer Fachgebiete erkennbar bereichert. Trotz dieser wertvollen Einzelbeiträge bleibt das dynamische Problemfeld wesensgemäß inhaltlich fragmentarisch ausgeleuchtet und zeitlich offen. „Die Lektion der Mikrobe – unsere neue Normalität heißt Komplexitätskrise“ überschrieb die Neue Zürcher Zeitung am 25.09.2021 einen Gastkommentar des Physikers und promovierten Philosophen Eduard Kaeser. Die Genesis: Ende 2019 durchbrach in China das zoonotische Coronavirus SARS-CoV-2 die Artengrenze. Sich rasch global ausbreitend infizierte es Millionen Menschen, da es weltweit weder ein wirksames antivirales Medikament zur Vorbeugung oder Behandlung von COVID-19, noch einen Impfstoff gab, der im bestimmten Maße vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützte. In der Abhandlung des Mediziners und Pharmakologen Wolf-Dieter Ludwig für diesen Band werden die für die Zulassung entscheidenden klinischen Studien besprochen – sowohl für die antiviralen Arzneimittelkandidaten zur Behandlung von COVID-19 als auch für die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2, die inzwischen in Europa, den USA und anderen Ländern der Erde zur Verfügung stehen. Bereits 6 Monate nach der Sequenzierung von SARS-CoV-2 konnten mehrere Impfstoffe gegen dieses Virus in frühen klinischen Studien untersucht werden. Dabei handelt es sich um neuartige gentechnisch hergestellte mRNA- oder DNA-Impfstoffe sowie neuerdings auch um einen Protein-Impfstoff. Inzwischen (Frühjahr 2022) sind bereits 5 COVID-19-Impfstoffe von der Europäischen Arzneimittelagentur zugelassen worden. Sie repräsentieren herausragende wissenschaftliche und technisch-technologische Team- Leistungen. Rein numerisch ist das gegenwärtige endemische Ereignis nicht unikal. Zum dritten Mal im jüngsten Dezennium (und höchstwahrscheinlich nicht zum letzten Mal) löste ein Virus aus dem Tierreich eine Epidemie aus. Die rezente gipfelte allerdings in einer einzigartig herausfordernden multidimensionalen Pandemie. Sowohl für deren Realität, als auch für die Reflexionen sind die häufig benutzten Charakterisierungen, wie heterogen, beziehungsreich, vielschichtig, ineinandergreifend, verflochten, vernetzt, verwickelt, mannigfaltig, vielfältig, vielseitig, diffizil, unauflösbar, markant, etc. Sie illustrieren das enorm ausgedehnte und nuancenreiche Wortfeld der Begriffe komplex bzw. Komplexität. Allein für das Substantiv Komplexität weist die Linguistik 1008 andere Wörter in 38 Wortgruppen aus. Die noch problematischere Kompliziertheit wird häufig – allerding vereinfacht – als exzessive Komplexität deklariert, die ins stochastische Chaos münden kann. Wer sich mit der Pandemie befasst, wird mit den Herausforderungen beider Kategorien konfrontiert. Udo Di Fabio – von 1999 bis Dezember 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht – hob schon 2009 hervor, dass die "Nebelwand der KomPlexität" zu einem "Verlust der Alltagsvernunft" führt. Und invers: Mit der Alltagsvernunft allein lassen sich komplexe Systeme nicht mehr stabilisieren Daraus entwickelt sich ein fundamentaler demokratietheoretischer Konflikt (Handelsblatt 24.12.2009). Regierende, Abgeordnete und autorisierte Sachwalter sollen über die wirksame und schnelle Regulierung hochkomplexer systemischer Probleme entscheiden, die selbst Experten und erfahrene Insider kaum noch angemessen begreifen, geschweige denn rasch und umfassend genug lösen können. Das ist eine wesentliche Ursache dafür, dass sich das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Medien immer wieder auflädt und gelegentlich bei enorm steigender Stromstärke mit einem Kurzschluss nullt. „In diesem Kontext fällt dem Informationsjournalismus mehr denn je die Aufgabe zu, den Info-Nebel zu lichten, die markanten Objekte in der Ereignislandschaft zu erkennen, zu beschreiben und einzuordnen – kurz: den Menschen Orientierungshilfe zu geben. Es versteht sich, dass diese Funktion eine besondere Bedeutung gewinnt, wenn – wie derzeit in der „Corona-Pandemie“ genannten Sozialkrise – die zu beschreibenden Objekte keinen festen Ort haben, sondern nebulös auftauchen und wieder verschwinden, derweil an anderer Stelle plötzlich neue hervorzubrechen“, schreibt der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Michael Haller in seinem Beitrag für diesen Band. Eine der Kernaufgaben des Informationsjournalismus sei es, so Michael Haller in seinem Fachbeitrag, der Unwissenheit mit Informationen über aktuelle Ereignisse entgegenzuwirken. Besonders in Krisen- und Katastrophenzeiten erwartet die Bevölkerung von den Medien, dass sie relevante Wissensbestände erschließen, abwägen und für eine fassbarere Rezeption aufbereiten. Die überwiegende Mehrheit medialer Informationsangebote zur Pandemie bestand aber aus hypothetischen, spekulativen, interpretierenden oder wertenden Aussagen, die häufig als Tatsachenberichte offeriert wurden. Diese Fehlfunktionen verstärkten sich noch, weil die drei relativ eigenständigen Subsysteme Wissenschaft, Politik und Medien während der Pandemie als rückgekoppelter "Wissenschafts-Politik-Komplex" fungierten. Über viele Monate hinweg wurden publizierte Informationen als wahrheitsgemäßes Wissen präsentiert; davon abweichende Aussagen zu oft mit spitzen Fingern beiseitegeschoben und marginalisiert, unzureichend geprüft, als unwahres Gerede derer apostrophiert, die es nicht wissen oder nicht wissen wollen, ("Corona-Leugner", "Schönredner", "Querdenker"). Auf diese Weise trugen leider auch Leitmedien zur Verunsicherung großer Teile der Bevölkerung und zumindest indirekt zur Radikalisierung verängstigter Skeptiker bei. Wissenschaft ist in einer aufgeklärten Gesellschaft ubiquitär und ohne echte Alternative. Das hat spätestens die Coronavirus-Pandemie mehr als deutlich gemacht, resümiert der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit in seinem rückblickenden Beitrag für diesen Band. Der Wissenschaftskommunikation kommt in herausfordernden Krisenzeiten erwiesenermaßen eine Schlüsselrolle zu. Aber sie stellt zudem – gerade unter solchen Bedingungen – eine enorme Herausforderung dar, für den Journalismus und die Wissenschaft gleichermaßen. „Denn es prallen Welten aufeinander. Und zwar nicht unbedingt die besten aller möglichen Welten“. Neben subjektiven Momenten, vor allem unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Interessen der kollektiven Protagonisten (herausragend ihrer ‚Exzellenzen,), divergenten Erwartungshaltungen, verschiedenartigen empirischen Erfahrungen, diversem theoretischen Wissen, andersgearteten Wahrnehmungs- und Denkweisen sowie widersprüchlichen Strategien der Handelnden, wird das Spannungsfeld zwischen den Polen Wissenschaft, Politik und Medien von originären strukturellen und funktionellen Konstellationen der selbst komplexen, vernetzten und interagierenden Subsysteme konstituiert. Lutz-Günther Fleischer, Vizepräsident der Leibniz-Sozietät, skizziert in seinen Reflexionen einige praktische und theoretische Aspekte der generischen Komplexität der Corona-Pandemie in dem Spannungsfeld, dessen spezifische Formen, Ursachen und Folgen in den vorliegenden Beiträgen dieses Sitzungsberichts detailliert erörtert werden. Diskutiert werden zudem Erscheinungsformen und Wirkungen der sogenannten ‚Komplexitätskrise‘ und denkbare Reaktionen darauf. Die Universalität der Auswirkungen erstreckt auf alle Bereiche der Zivilisation, erfasst naturgemäß auch die komplexen Systeme der Kommunikation. Dazu gehören im allgemeinen Sinn insbesondere die natürlichen Sprachen der Menschen, die konstruierten Sprachen und Zeichensysteme. Gerda Hassler, Präsidentin der Leibniz-Sozietät, dokumentiert und interpretiert faktenreich, dass kaum ein anderes Thema innerhalb von zwei Jahren so viele Innovationen in der deutschen Sprache hervorbrachte, wie die COVID-19-Pandemie. Das neuartige Virus mit seinen fortwährenden Mutationen, die Schwierigkeit der Menschen, mit einer unvorhergesehenen und unbeherrschbaren Situation umzugehen, aber auch die Notwendigkeit, sich darüber zu verständigen, einschließlich des Verfassens eigener, origineller Standpunkte, führten zu zahlreichen lexikalischen Neuerungen. Daneben gab es aber auch Wandlungen im Sprachgebrauch, die zu veränderten Ausdrucksweisen, Kommunikationsstrategien und sogar zur Etablierung neuer Textformen und Diskursstrategien führten. Der zukünftige Sprachgebrauch wird über beide Schicksale entscheiden. In besonderer und individuell vielfach erlebter Weise beansprucht COVID-19-Pandemie alle Lebenswissenschaften.
Der Molekularbiologe und Virologe Detlev H. Krüger komprimiert in 9 Thesen seine Schlussfolgerungen aus den Umgangsformen von Wissenschaft, Politik und Medien mit der COVID-19-Pandemie in Deutschland. Er hebt die Bedeutung evidenzbasierter Entscheidungen und sachlicher Information der Öffentlichkeit hervor, die diese zu angstfreiem und konstruktivem Verhalten motivieren. Bei der Bewertung der Schwere der Infektion in der Bevölkerung sollte der Fokus auf der Krankheitslast und nicht auf der Infektionshäufigkeit liegen. In der aktuellen Corona-Krise erfährt die sichere Diagnose von Virusinfektionen eine ganz neue gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Aber auch zahlreiche andere virale Erreger bedürfen einer entsprechenden Diagnostik. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt Detlev H. Krüger in seinem zweiten Beitrag, welche Bedeutung die molekulargenetische Diagnostik hat, wie neue Erreger erstmals nachgewiesen werden können und warum eine effektive Virusdiagnostik sowie die Entwicklung neuer Impfstoffe ohne "Gentechnik" nicht mehr denkbar sind. Die bisherigen Erfahrungen verweisen einerseits auf die Grenzen der Modellierung epidemiologischer Prozesse. Andererseits belegen sie, dass derartige Modelle sowie mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten zu ermittelnden Voraussagen von höchstem Wert sind. Die mit unterschiedlichen und variantenreichen Methoden der Modellierung erreichten Fortschritte sind ebenso deutlich, wie die bisher unbewältigten Anforderungen. Die Physiker Werner Ebeling und Sergey Trigger analysieren in ihrem Beitrag mehrere Phänomene der zeitlichen Entwicklung der Pandemie COVID-19 sowie neuer hochinfektiöser Stämme Eine Basis bilden die mathematischen Modelle des Lotka-Volterra-Typs, eine zweite die Evolutionsgeschichte und das evolutionäre Spiel. Optimistisch folgern die beiden Autoren, dass das Genom von SARS-CoV-2 nicht in der Lage ist, seine Eigenschaften im Hinblick auf etwaige Gegenmaßnahmen der menschlichen Bevölkerung zu optimieren und schließlich schwächer wird und an Macht und Einfluss verliert. Der Sozialmediziner Heinrich Niemann formuliert die Forderung und Erwartung einer umfassenden öffentlichen Bewertung der Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Bundesrepublik Deutschland, auch um auf zukünftige epidemische Ereignisse besser vorbereitet zu sein. Dazu werden zum Zeitpunkt der Publikation relevante Fragen aufgeworfen, wie z.B. die unklaren Strukturen der Pandemiebekämpfung in Staat und Gesellschaft, die intransparente Expertenberatung der Politik sowie die Qualität der medizinisch-statistischen und epidemiologischen Forschung zur Pandemie und deren öffentliche Darstellung. Der Protagonist der Pflegewissenschaft und des Pflegemanagements Olaf Scupin exponiert in seinen Ausführungen die These: Jede Gesellschaft bekommt die Krankenpflege, die sie verdient! Die enormen Herausforderungen (und häufig Überforderungen) der Krankenpflege während der COVID-19-Pandemie werden in ambivalenter Erinnerung bleiben. Sie offenbaren essentielle Widersprüche, obwohl in der Bundesrepublik Deutschland in der jüngeren Vergangenheit kaum ein anderer Berufszweig – auf dem Weg zu gesetzlich verankerten hochschulischen Pflegeausbildung – einem so starken Wandel unterzogen wurde, wie die professionellen Pflegeberufe. Mit Hilfe eines historischen Exkurses zur Entwicklung der professionellen Pflegefunktionen und -berufe erläutert und diskutiert der Theorie-geleitete und Praxis-erfahrene Spezialist die aktuellen Entwicklungen in der Pflegelandschaft. Gisela Jacobasch und Edgar Klose diskutieren in Ihrem Beitrag insbesondere einen Mechanismus, wie bei der Translation der Virus-m RNA von SARS-CoV-2 mit dem bicyclischen Epoxy-Monoterpen 1,8-Cineol, das ca. 85% des Eukalyptusöls bildet, eine zentrale Protease effektiv inhibiert werden kann. Bei dieser komplexen Translation werden zunächst zwei inaktive Polypeptidketten gebildet. Die aktiven Proteine entstehen erst nach der proteolytischen Spaltung. Sie wird von dieser, am Anfang der Kette lokalisierten – mit Cineol zu hemmenden – spezifischen Protease katalysiert. Die Herausgeber hoffen, dass dieser Sitzungsbericht seine Leser anregt und mit vorausschauendem Denken sowie wissensbasiertem Handeln ermutigt, der ‚Nebelwand der Komplexität‘ mehr Transparenz zu verleihen.

Cover: 30 Jahre Leibniz-Sozietät – 30 Jahre Wissenschaftsentwicklung.
  • Band: 161
  • Autor: Haßler, Gerda
  • Anzahl Bewertungen: 0
  • Ø Bewertung:
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 05.07.2024
  • Genre: Politik

30 Jahre Leibniz-Sozietät – 30 Jahre Wissenschaftsentwicklung.

Dieser Band ging aus der Jahrestagung am 19. Oktober 2023 zum Thema "30 Jahre 30. Jahre Leibniz-Sozietät - 30 Jahre Wissenschaftsentwicklung", der dritten und damit letzten Veranstaltung anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V., hervor.
In der ersten Veranstaltung, die unmittelbar nach dem Jahrestag der Gründung der Sozietät am 15. April 1993 unter dem Titel "Gründung und Entwicklung der Leibniz-Sozietät stattfand, hatten wir Vertreter der Gründergeneration gehört, die über ihre Motive und Ziele, die Gelehrtengesellschaft der Akademie der Wissenschaften fortzuführen, berichteten. In diesem Zusammenhang wurde auch festgestellt, dass die Geschichte der Leibniz-Sozietät die in den letzten Jahren zu verzeichnende weltweite Umgestaltung gesellschaftlicher Systeme widerspiegelt, deren weiterer Verlauf und deren Auswirkungen durchaus offen und damit gestaltbar sind.
Zum Leibniz-Tag erschien auch die Chronik der Sozietät, die ein beeindruckendes Bild über die Arbeit der Sozietät in dreißig Jahren gibt.
In diesem Zusammenhang wurden auch die Möglichkeiten der Wissenschaftsgeschichte erwähnt. Gerade die Beschäftigung mit Wissenschaftsgeschichte in der Gelehrtengesellschaft gibt auch Forschern, die nicht mehr in ihrem Labor arbeiten können, die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen und vorzustellen. In Kooperation mit Kollegen, die schon in früheren Stadien ihres Berufslebens zu wissenschaftshistorischen Themen gearbeitet haben, können Perspektiven entwickelt werden, die innovativ sind und auch auf aktuelle Forschungen zurückwirken. Wissenschaftshistorische Forschungen sind keinesfalls rückwärtsgewandt, auch wenn sie sich mit zurückliegenden Zeitabschnitten befassen, sondern sie kontextualisieren in diesen verwendete Methoden und erreichte Ergebnisse.
Mit der Jahrestagung "30 Jahre 30. Jahre Leibniz-Sozietät - 30 Jahre Wissenschaftsentwicklung" wurde ein Schritt auf diesem Weg gegangen. Es sollte um Geschichte von Wissenschaften gehen, allerdings in einem unmittelbar zurückliegenden Zeitraum, der bis an die Gegenwart heranreicht und den Historiker Zeitgeschichte nennen würden. Die Referenten der Tagung waren überwiegend keine reinen Wissenschaftshistoriker, sondern Wissenschaftler, die sich auf die Betrachtung der Entwicklung in den letzten drei Jahrzehnten, teilweise auch darüber hinaus, eingelassen haben. Das ist in einer Zeit,
in der es in vielen Wissenschaften üblich geworden ist, nur Publikationen der letzten fünf Jahre ernst zu nehmen, keinesfalls selbstverständlich.
Sobald man sich als Vertreter eines bestimmten Fachgebiets mit Wissenschaftsgeschichte befasst, trifft man auf paradoxe Erscheinungen.
Als wissenschaftshistorisches Paradoxon kann die Tatsache bezeichnet werden, dass man wahre Aussagen zu falschen Feststellungen über ein bestimmtes F orschungsobjekt trifft. In früheren Zeiten angestellte Überlegungen können vom heutigen Standpunkt der Wissenschaft falsch gewesen sein, dennoch wurden sie seinerzeit für richtig gehalten und es obliegt uns, die Bedingungen ihres Entstehens und vielleicht auch ihren Nutzen einzuschätzen und sie zu kontextualisieren. Dies führt auch zur Erkenntnis von Prozessen der Schaffung von Wissen, die für die heutige Forschung von Nutzen sein kann.
Paradox erscheinen uns auch mitunter die Bedingungen, unter denen geforscht und wissenschaftlich gearbeitet wurde. Vor dreißig Jahren begannen wir, uns mit Kollegen per E-Mail auszutauschen, was anfangs noch gar nicht selbstverständlich und akzeptiert war. Wenn man in Berufungsverhandlungen vor dreißig]ahren einen Scanner und entsprechende Software forderte, um größere Textmengen in digitaler Form zur Verfügung zu haben, wurde das zwar akzeptiert, aber als sehr merkwürdig betrachtet. Die meisten älteren Kollegen kennen wahrscheinlich irgendwelche damals noch nicht zum Allgemeingut gehörende Geräte oder Bedingungen, die heute selbstverständlich oder schon wieder obsolet geworden sind.
Auch die meisten Wissenschaftsdisziplinen haben sich stark verändert, einige Methoden und Forschungsgegenstände sind inzwischen verschwunden, andere, vor dreißig lahren undenkbare sind hinzugekommen. Die künstliche Intelligenz verändert gerade die Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen. Daneben gibt es auch Kontinuitäten, die fachliche ldentitäten und persönliche Lebensläufe prägen.
Diese vielfältige, widersprüchliche, aber auch Anlass zum Optimismus im leibnizschen Sinne gebende Entwicklung der letzten dreißig jahre war Gegenstand der Jahrestagung. Wissenschaftsgeschichte als Zeitgeschichte, Methodenreflexion, aber auch persönliche Erzählungen sind mögliche Zugänge zur Betrachtung dieses Gegenstands. Einige Kollegen fassten das Thema der Jahrestagung auch als Aufforderung zur Berichterstattung auf. Alte Gewohnheiten wirken weiter und natürlich müssen wir das auch akzeptieren. In den Beiträgen werden unterschiedliche Herangehensweisen gewählt, die alle ihre Berechtigung haben und zum Gelingen beitragen. Einige Beiträge enthalten Einschätzungen oder auch Vorschläge, die der individuellen Sicht der Autoren entsprechen.
Selbstverständlich können wir in diesem Band nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl der in der Leibniz-Sozietät vertretenen Disziplinen vorstellen.

Anhand der Themen „Ordnungsbildung“ und „Einfachheit“ zeigen Werner Krause und Erdmute Sommerfeld die Bedingungen für die Herausbildung der Denkweise der lnterdisziplinarität in der Psychologie und die Rolle der Leibniz-Sozietät in diesem Zusammenhang. Jonas Schmidt-Chanasit behandelt die Entwicklung der DNA-Sequenzierungtechnologien und ihre Rolle bei der Entdeckung und ldentifizierung bisher unbekannter Krankheitserreger in den letzten Jahrzehnten.
Axel Müller und Reinhard Greiling gehen von den großen Herausforderungen an die Erkundungs- und Lagerstättengeologie durch die plötzlich extrem steigende und beschleunigte Nachfrage nach Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel, Kupfer und Graphit aus und weisen auf Möglichkeiten der interdisziplinären Kooperation mit anderen Naturwissenschaften und den Geistes- und Sozialwissenschaften hin.
Im Beitrag von Dietrich Spänkuch und Heinz Kautzleben wird über die Entwicklung des Arbeitskreises Geo-, Montan-, Umwelt-, Weltraum- und Astrowissenschaften und die konzeptionellen Fortschritte der letzten Jahre im Bereich Klimaforschung berichtet.
Ulrich Busch charakterisiert die gegenwärtige Gesellschaft als eine Wirtschaftsgesellschaft und wirft von daher das Problem der unzureichenden Repräsentanz der Wirtschaftswissenschaftler in der Leibniz-Sozietät auf.
Im Beitrag von Gerda Haßler ging es um die Entwicklung der Sprachwissenschaft zwischen den Polen der Introspektion und der Empirie, zwischen Universalismus und Relativismus, Formalismus und Funktionalismus, clie zu einem Pluralismus der Methoden und Gegenstände der Forschung führte.
Dorothée Röseberg begründet die These, dass sich Kulturtheorien und Kulturwissenschaften an den Rändern etablierter Disziplinen mit neuen spezifischen Blickrichtungen und Forschungsfeldern entwickelt und sich als Brücke zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften etabliert haben.
Im Beitrag von Dieter Segert werden Anpassungen in der Politikwissenschaft an die Hindernisse auf dem Weg einer unaufhaltsamen Verbreitung der Demokratie und der Weg der Theorie kritischer Demokratieforschung behandelt.
Hans-Christoph Rauh betrachtet die Behandlung philosophischer Themen in der dreißigjährigen Geschichte der Leibniz-Sozietät vor allem anhand der Würdigung von Philosophen und Vertretern nahestehender Disziplinen anlässlich von deren Jubiläen. Kritisch stellt er dabei einige Lücken fest.
Hubert Laitko behandelt in seinem Beitrag zum Thema „Die Leibniz-Sozietät – ein Ort wissenschaftshistorischer Besinnung“ die wissenschaftshistorische Reflexion als eine der unverzichtbaren Strategien, deren Einsatz den disziplinenübergreifenden Austausch ermöglicht oder unterstützt. Sie macht die Differenz der kommunizierenden Disziplinen als ein Phänomen geschichtlich entstandener Arbeitsteilungen verständlich und führt sie damit auf gemeinsame Wurzeln zurück.

Die in diesem Band vertretenen Beiträge von Werner Krause und Erdmute Sommerfeld, Jonas Schmidt-Chanasit, Axel Müller und Reinhard O. Greiling, Dietrich Spänkuch und Heinz Kautzleben, Ulrich Busch, Gerda Haßler und Dieter Segert entstanden auf der Grundlage der auf der Tagung gehaltenen Vorträge die teilweise erweitert oder auf bestimmte Aspekte fokussiert wurden. Sie verstehen sich als Beispiele der Darstellung von Entwicklungen.
Da vielleicht auch andere Kollegen für ihre Wissenschaften solche Darstellungen liefern können und wollen, erging der Aufruf, sich am Band der Sitzungsberichte zu beteiligen, dem Dorothee Röseberg und Hans-Christoph Rauh gefolgt sind. Der Band schließt mit dem Beitrag von Hubert Laitko, der auf der jahrestagung von dem Ende letzten jahres verstorbenen Kollegen Horst Kant verlesen und von der Herausgeberin gemeinsam mit dem Autor bearbeitet wurde.
...
Die Frage, ob die Leibniz-Sozietät ein Traditionsverein der Akademie der Wissenschaften sein soll oder ob sie sich als Gemeinschaft an interdisziplinären Fragen interessierter und forschender Wissenschaftler versteht, ist jedoch inzwischen beantwortet. Nachdem sie ihre Aufgabe, den mit der Auflösung der Gelehrtengesellschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR entlassenen Mitgliedern eine wissenschaftliche Heimat zu geben, erfüllt hat, kann ihre Zukunft nur in der Schaffung von relevanten Forschungs- und Diskussionszusammenhängen bestehen, die für die Mitglieder attraktiv sind und die der Verantwortung der Wissenschaft gerecht werden.

Diesen Artikel teilen