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Gaby, Lièvre
Gaby Lièvre wird als einziges und hörendes Kind gehörloser Eltern am 15. Oktober 1962 in Rheydt (heute Mönchengladbach) geboren. Schon früh muss sie für ihre Eltern dolmetschen und oft wichtige Entscheidungen selber treffen, etwa zur Schul- und Lehrstellenwahl. Auch bei ganz persönlichen Themen wie Gefühlen, Sexualität oder ersten Partnerschaften ist sie aufgrund der Sprachbarriere mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Kommunikation ist immer schwarz- weiß oder findet manchmal auch gar nicht statt, wenn sie es zu schwierig findet, ihren Eltern etwas in vereinfachter Sprache zu erklären.
Eine Schulfreundin nimmt sie eines Tages mit in die Stadtbibliothek, wo sie die faszinierende Welt des Lesens für sich entdeckt. Zuhause gibt es keine Bücher. 1979 entschließt sie sich, eine Lehre zur Bibliotheksassistenten zu machen und arbeitet schließlich zehn Jahre in der Stadtbibliothek Mönchengladbach. Weil sie aber noch mehr lernen will, macht sie schließlich nebenbei am Abendgymnasium das Abitur nach und wechselt 1991 als Personalsachbearbeiterin in eine Bank nach Düsseldorf. Seit 2006 übt sie diesen Beruf in den benachbarten Niederlanden aus, wo sie seit 2004 lebt.
Das Thema Lesen, Schreiben und Sprache hat sie nicht mehr losgelassen. In den 80er Jahren beginnt sie zu schreiben, Kurzgeschichten und vor allem Gedichte. Sie entdeckt, dass das viel leichter ist, als ihre Gefühle ihren Eltern gegenüber zu öffnen. Das Papier versteht sie immer. Sie besucht erste Schreibseminare und wird regelmäßige Teilnehmerin einer Schreibwerkstatt, die 1990 bei der VHS Mönchengladbach bzw. Viersen entsteht und sich inzwischen in kleinerem Rahmen außerhalb der VHS trifft. Mit der Schreibwerkstatt veranstaltet sie verschiedene Lesungen, teilweise im Rahmen der Mönchengladbacher Literaturtage. Eine Lesung mit dem Titel „Hinter den Spiegeln“ findet bei den Literaturtagen 1997 in der Stadtbibliothek Rheydt statt. Zu Beginn der 2000 Jahre ist sie einige Jahre lang Mitglied der Autorengruppe "Federspur".
Ein weiteres Schreibseminar ist 2018 der Auslöser für sie, sich mit dem Thema Gehörlosigkeit ihrer Eltern auseinanderzusetzen und darüber zu schreiben. Im Entstehungsprozess des Buches findet sie immer mehr ihre eigene Sprache und kann die Beziehung zu ihren inzwischen verstorbenen Eltern auf eine ganz neue Weise sehen.
Worte in die Stille
Ein gehörloses Elternpaar, ein hörendes Kind, eine Umwelt, die Fragen stellt. „Wie hast du denn sprechen gelernt?“ – „Wie konntest du deine Eltern verstehen?“ Fragen, die die Autorin Gaby Lièvre als Kind widersinnig findet, ihre Eltern können doch sprechen.