China auf dem Weg zur digitalen Supermacht
Autor:
Matthias Sander wurde 1996 in Mainz geboren und studierte zunächst Politik und Soziologie. Seit 2014 ist er Journalist der Neuen Zürcher Zeitung NZZ aus der Schweiz. 2020-2023 war er China-Korrespondent der Zeitung und berichtete zunächst aus Taiwan, danach aus Shenzhen, seit 2024 ist er Korrespondent der französischsprachigen Schweiz.
Inhalt:
Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping will sein Land dank Technologie zur Supermacht formen. Bei künstlicher Intelligenz, E-Autos und Computerchips zählt China schon zur Weltspitze. Doch weitere Fortschritte sind bedroht, etwa durch amerikanische Sanktionen und Xis hartes Durchregieren.
Die anschaulichen, erzählenden Texte des Auslandsjournalisten Matthias Sander erkunden Chinas technologische Ambitionen ganz konkret. Seine Reportagen führen durch den digitalen Alltag, stellen innovative Start-ups vor und beleuchten die staatliche Subventionspolitik. Dabei betrachtet Sander Technologie stets im größeren Kontext von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Individuum - und den Auswirkungen auf Europa. (Klappentext)
Rezension:
Wer aus Europa nach China kommt, dem fällt sofort auf, wie verbreitet Technologie hier ist. Zutrittsschranken an Flughäfen und Wohnanlagen öffnen sich per Gesichtserkennung. Auf den Bürgersteigen filmen Überwachungskameras all paar Meter die Fußgänger. Taxifahrer halten ihren Fahrgästen am Zielort kommentarlos einen ausgedruckten QR-Code hin, damit sie per Handy bezahlen. [...] Der Alltag in chinesischen Metropolen ist so digitalisiert wie wohl nirgendwo sonst.
Nach überstandener Quarantäne in einem Hotel fragt der Journalist nach einer Zutrittskarte im Checkkartenformat für seine Wohnanlage, die sonst nur per Gesichtserkennung zu betreten ist. Sander bekommt mehrere ausgehändigt, muss jedoch schnell feststellen, wie praktisch im Alltag diese Art Zutrittsberechtigung ist, vor allem, wenn man z. B. in beiden Händen jeweils eine Einkaufstüte hat.
In der Praxis wird er die Karten höchst selten benutzen. Um so häufiger WeChat, den kleinen Alleskönner, der als App für die Mehrzahl der Chinesen das Internet komplett ersetzt. Taxifahrten und Stromrechnungen kann man u. a. darüber bezahlen, seine Reisen planen und Behördengänge erledigen, vielfach nur auf diesem Wege.
Doch was bedeutet das, wenn auf Algorithmen und Daten der Staat Zugriff hat, über Nutzungsrechte seine Bürger kontrollieren und sanktionieren kann? Was heißt das für Unternehmen, die im vorauseilenden Gehorsam einer politischen Linie folgen müssen und mit Selbstzensur sich ausbremsen, bevor es der Staat tut?
Bis zu welchem Grad kann so Fortschritt gehalten werden und Innovation nachhaltig entstehen? Matthias Sander hat sich auf Spurensuche begeben und erlebt beinahe autonom fahrende Autos, durchleuchtet die handfesten wirtschaftlichen Hintergründe des Taiwan-Konflikts und zeigt die vielen Schattenseiten des vermeintlichen Fortschritts des Landes auf. Die "Große Firewall" ist keine harte Mauer. Sie bedeutet, dass die chinesische Regierung den grenzüberschreitenden Datenverkehr filtert und gegebenenfalls blockiert. Das ist in China relativ einfach, weil das Netz ganz bewusst nur an wenigen Knotenpunkten mit dem globalen Internet verbunden ist.
Die "Große Firewall" ist keine harte Mauer. Sie bedeutet, dass die chinesische Regierung den grenzüberschreitenden Datenverkehr filtert und gegebenenfalls blockiert. Das ist in China relativ einfach, weil das Netz ganz bewusst nur an wenigen Knotenpunkten mit dem globalen Internet verbunden ist.
Entstanden ist dieses hochinteressante Sachbuch aus einer Zusammenstellung von Zeitungsartikeln des Autors, die unvoreingenommen kritisch, fasziniert, von verschiedenen Aspekten Chinas berichten und über Technologie immer wieder sowohl zur Bedeutung dessen im Alltag der normalen Bevölkerung kommen als auch zur großen Politik und derer Auswirkungen auf die Welt.
Geordnet nach verschiedenen Themenbereichen beleuchtet Sander das unaufhaltsame Streben nach wirtschaftlicher Autarkie und politischen Voranpreschen in einer Vielzahl technologischer Bereiche und zeigt eine Politik, die nach absoluter Kontrolle strebt, aber damit jede Innovation zunächst einmal ausbremst oder kappt, wenn sie zu mächtig, damit unbeherrschbar werden droht.
Sander zeigt ein Land im Zwiespalt. Start-ups etwa, die der KI Chat-GPT nacheifern wollen, jedoch sich bereits im Voraus selbst zensieren und so keinen umfassenden Nutzen bringen, sondern sich auf eng umgrenzte Bereiche fokussieren, wie ein Internet, welches ebenso determiniert zeigt, was die chinesische Staatsführung eben zulässt, aber eben auch ein China, welches stolz seine Erfolge präsentiert. Die größten Hersteller von E-Autos sind alles inländische Firmen, selbst Tesla präsentiert sich dort wie eine einheimische Marke.
Doch was bedeutet der technologische Fortschritt für die Menschen in Bezug auf geopolitische Konflikte, im Wettbewerb mit ausländischen Firmen, die einerseits um die Chancen auf dem chinesischen Markt wissen, anderseits dort zumeist in Joint-Ventures gezwungen, Ideen- und Patentklau befürchten müssen? Wie wappnen sich amerikanische und europäische Firmen dagegen, wo lernen sie voneinander?
Teslas Erfolg mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich stecken die USA und China in einem Wettstreit um die Tech-Vorherrschaft. China will bei Schlüsseltechnologien wie Elektroautos, autonomem Fahren und Batterien Selbstversorger werden. Daten, wie Tesla sie massenhaft zur Entwicklung des autonomen Fahrens benötigt, gelten für Peking als Produktionsfaktor und sollen das Land praktisch nicht mehr verlassen. Wie also erklärt sich der Erfolg für Tesla in China? Und wie lange kann er anhalten?
Sander beobachtet, zeigt einen Innovationsgeist, der wohl noch größer wäre, würde er nicht durch politische Vorgaben eingeengt werden, doch verfällt er nicht in reiner Lobhudelei oder alles verdammender Kritik, sondern versucht die Bedeutung dessen, was er sieht, zu beleuchten. Hintergründe und Geschichten dortiger Unternehmen im Kontext der chinesischen Politik, werden beleuchtet, als auch deren schlimmste Auswüchse aufgezeigt, etwa was geschieht, wenn Wissenschaftler zunächst einmal fernab jeder Moralvorstellung agieren können.
Über jeden dieser ursprünglichen Zeitungsartikel, die nun in Themenbereiche gegliedert sind, steht das Entstehungsdatum, was so sortiert noch einmal das unaufhaltsame Tempo aufzeigt, in welchem sich die chinesische Gesell- und Wirtschaft bewegt. Auch kann man diese häppchenweise lesen oder hintereinander weg als ganzes Bild. Dabei sind auch sehr komplexe Inhalte so aufbereitet, dass sie auch für Laien gut zugänglich sind und so zum Verständnis beitragen, ohne bestimmte Mittel und Wege diskussionslos gutheißen zu müssen.
Sander zeigt die Auswirkungen scheinbar unaufhaltsamen Voranschreitens, aber auch die vielen großen Aber, damit auch, wie wichtig es ist, solchen Technologiedystopien etwas Eigenes, positives entgegenzusetzen. Gelingt das, so zeigt diese Sammlung von Reportagen, können wir vor allem den hier geschilderten negativen Auswirkungen Alternativen gegenüberstellen. In diesem spannenden Sachbuch zeigt sich, gerade in China ist nicht alles Gold was glänzt. Manches kann übernommen oder adaptiert werden. Anderes ist mit großer Vorsicht zu genießen, selbst wenn der erste Blick zum Staunen einlädt.
findosbuecher
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China auf dem Weg zur digitalen Supermacht
Die anschaulichen, erzählenden Texte des Auslandsjournalisten Matthias Sander beleuchten Chinas technologische Ambitionen ganz konkret. Seine Reportagen führen durch den digitalen Alltag, stellen innovative Startups vor und beleuchten die staatliche Subventionspolitik. Dabei betrachtet Sander Technologie stets im größeren Kontext von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Individuum – und den Auswirkungen auf Europa. Das Buch richtet sich somit nicht nur an Technologie-Interessierte, sondern an alle, die das gegenwärtige China besser verstehen möchten.