Zauber der Stille
Dass ich dieses Buch gelesen habe, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Da wären nämlich auf der einen Seite meine Vorerfahrungen mit den Büchern von Florian Illies. So habe ich vor einer halben Ewigkeit zwar sein „Generation Golf“ gelesen, war über die Lobeshymnen aber dann doch erstaunt, hätte ich es selbst nämlich allenfalls als „ganz nett“ einsortiert. Noch deutlich schwerer hatte ich es mit „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“ oder auch „Liebe in Zeiten des Hasses“, die ich beide bis heute nicht durchgelesen habe, weil die kleinteilige, miniaturhafte Erzählweise mir zu erratisch war.
Zum anderen war da meine Beziehung zur Malerei und mein Verständnis davon. Erstere ist nämlich lediglich rudimentär, letzteres quasi nicht existent. Ich kann allenfalls sagen, ob ein Bild mir etwas gibt oder nicht, was aber immerhin schon mehr als nichts sei, wie eine ganz zauberhafte Person mir mal sinngemäß gesagt hat.
Hätte ich aufgrund dieser Vorbedingungen und Vorerfahrungen jedoch auf die Lektüre von „Zauber der Stille“ verzichtet, hätte ich die bis dato vermutlich schönste Leseerfahrung dieses Jahres nicht gemacht.
Auffällig ist gleich zu Beginn, dass Illies sein Buch in vier Abschnitte einteilt, die mit Feuer, Wasser, Erde und Luft überschrieben sind, und denen er entsprechende Bilder von Friedrich zuordnet, um die es dann in den entsprechenden Abschnitten geht. Beispielsweise beschäftigt sich der „Wasser“-Abschnitt viel mit dem Bild „Mönch am Meer“, der „Feuer“-Abschnitt unter anderem mit den Werken, die tragischerweise irgendwann mal ein Raub der Flammen geworden sind.
Und das, was ich noch in Büchern wie „1913“ oder „Liebe in Zeiten des Hasses“ kritisiert habe, nämlich dieses kleinteilige Erzählen, das kommt auch in „Zauber der Stille“ zum Tragen. Allerdings funktioniert das hier für mich persönlich sehr viel besser. Illies hält sich nicht damit auf, das Leben seines Protagonisten durch eine zwar chronologische, aber banale Und-dann-und-dann-und-dann-Aneinanderreihung im Stile und mit dem Charme eines „Mein schönstes Ferienerlebnis“-Aufsatzes nachzuerzählen, sondern er setzt Schlaglichter, schreibt Miniaturen zu diesem und jenem Ereignis aus Caspar David Friedrichs Leben, und setzt daraus mosaikartig ein ganz wunderbares Ganzes zusammen.
Manche Ereignisse bleiben dann für sich stehen, und werden zuweilen mit einem ganz hintergründigen Witz erzählt, wie beispielsweise die Begebenheit, in der ein Gemälde von Caspar David Friedrich unerwartet in einem Nonnenkloster gefunden wurde und der Finder die Äbtissin darauf verweist, dass sie für dieses Werk doch sicherlich eine Brandschutzversicherung abgeschlossen habe. Die Äbtissin ihrerseits, die so eine Versicherung in Unkenntnis dessen, was da genau an ihrer Wand hing und hängt, natürlich nicht abgeschlossen hat, erkundigt sich, was so etwas ungefähr kostet, und kommt dann spontan zum Schluss, dass es mehr Sinn ergibt, das Gemälde gewinnbringend an ein Museum zu verkaufen. Und zum Schluss dieser Anekdote wiest Illies dann lapidar darauf hin, dass das Nonnenkloster später im Zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauern abgebrannt sei – die Brandschutzversicherung aber für Kriegsschäden sowieso nicht gezahlt hätte …
Andere Themen wiederum ziehen sich durch das gesamte Buch und Illies kommt immer wieder darauf zurück, beispielsweise was die Beziehung von Caspar David Friedrich zu Goethe und umgekehrt angeht. Goethe war zunächst ein Förderer Friedrichs, im Laufe der Zeit erkaltete seine Begeisterung für die Werke des Malers jedoch zusehends und man kann letztlich festhalten, dass die Begeisterung und der Respekt, die Friedrich dem Dichterfürsten entgegenbrachte, deutlich größer waren als andersherum. Unter anderem deswegen schien es Friedrich nicht möglich zu sein, den großen Dichter irgendwann einfach mal in Ruhe zu lassen …
Egal, ob der Autor einzelne Anekdoten aus Friedrichs Leben schildert, ob er versucht, ihn als Mensch, als Persönlichkeit nachzuzeichnen, oder einordnet, wie Friedrichs Malerei in der breiten Öffentlichkeit sowie der Nachwelt aufgenommen wurde, an jeder Stelle merkt man dem studierten Kunsthistoriker Illies die Begeisterung für seinen Protagonisten an. Und so entsteht dann letztlich ein tiefgründig-leichtes, humorvoll-melancholisches und lehrreich-unterhaltendes Buch, dass mit einer Leichtigkeit und Stille daherkommt, dass es den gewählten Titel mehr als rechtfertigt.
An wem dieses Buch bislang also vorbeigegangen ist, dem kann ich wirklich nur wärmstens empfehlen, einen Blick hinein zu riskieren, selbst dann, wenn man, wie ich, mit Malerei und Kunst allgemein wenig am Hut hat.
Und sei es nur, um damit dazu beizutragen, dass dieses wunderbare Buch in der Spiegel-Bestseller-Sachbuch-Liste wieder am neuesten Pamphlet von Peter Hahne vorbeizieht …
Fraggle
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Kommentare
Thema: Zauber der Stille
Mir ging es beim Lesen sehr ähnlich. Allerdings war ich bewusst im Albertinum auf Spuren der Romantiker wie Friedrich und Carus...
Zauber der Stille
»So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen – einfach großartig.« Ferdinand von Schirach
Mit Florian Illies kann man Vergangenheit plötzlich als Gegenwart erleben. In »Zauber der Stille« breitet er erstmals die abenteuerlichen Geschichten Caspar David Friedrichs vor uns aus. Eine wilde Zeitreise zu dem Mann, der für die Deutschen die Sehnsucht erfand.
Friedrichs abendliche Himmel wecken seit Jahrhunderten die leidenschaftlichsten Gefühle: Goethe macht ihre Melancholie so rasend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen will, Walt Disney hingegen verliebt sich so heftig in sie, dass er sein »Bambi« nur durch Friedrich'sche Landschaften laufen lässt. Von Hitler so verehrt wie von Rainer Maria Rilke, von Stalin so gehasst wie von den 68ern, von der Mafia so heiß begehrt wie von Leni Riefenstahl – am Beispiel von Caspar David Friedrich werden in diesem mitreißend erzählten Buch 250 Jahre deutscher Geschichte sichtbar. Und Friedrich, der Maler, wird zu einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Nach »1913« und »Liebe in Zeiten des Hasses« das dritte große historische Epochenportrait von Florian Illies.