Klusi

Der entmündigte Leser

17.06.2024 - 13:42 Uhr
Cover: Der entmündigte Leser

Die Bevormundung von Autoren und auch Lesern hat in letzter Zeit stark zugenommen, Tendenz steigend. Ein deutliches Beispiel liefert die Autorin gleich in ihrer Einleitung: einige Verlage sind bereits dazu übergegangen, vielen ihrer Bücher eine Triggerwarnung voranzustellen. Da wird genau aufgelistet, was die Leserschaft erwartet: Bodyshaming, Gewalt, Rassismus, Untreue, Depressionen und vieles mehr.

So manches darf nicht mehr geschrieben werden bzw. wird geändert, und die "Zensur" macht auch vor Klassikern oder vor der Bibel nicht Halt. Von Homer bis Astrid Lindgren wird die Literatur einer Prüfung unterzogen und kritische Begriffe oder Szenen werden geändert oder "weichgespült". Selbst bereits verstorbene Autoren sind vor dieser "Überarbeitung" nicht sicher. Aber ist das wirklich nötig? Was hier mit Argumenten von "political correctness", "wokeness" oder "cancel culture" geschieht, empfindet die Autorin als schweren Eingriff in die literarische Freiheit, und ich muss sagen, da bin ich durchaus mit ihr einer Meinung. Viele der Beispiele, die sie anführt (meist sind es alte Klassiker) habe ich nicht gelesen und kann mir auch kein Urteil darüber erlauben, aber ich weiß durchaus, was Frau Möller meint. Sie ist Philologin und legt hier ein sehr wissenschaftlich aufgebautes Werk vor, das sich nicht einfach lesen lässt. Aber im Grunde genommen drückt sie das fachgerecht aus, was mir eher laienhaft im Kopf herumspukt. Immer wenn ich von derartigen Streichungen oder "Korrekturen" höre oder lese, kommt mir "Neusprech" aus Orwells Dystopie 1984 in den Sinn. Wollen wir wirklich da hin? Ich finde es nicht in Ordnung, die Leser für dumm zu verkaufen und derartig zu gängeln, denn diese Art der Vorgaben, die hier gemacht werden, scheint Lesern den gesunden Menschenverstand abzusprechen. Ich kann nur für mich sprechen, finde aber, dass ich durchaus in der Lage bin, mir selbst eine Meinung zu bilden und "kritische" Begriffe im Kontext der Zeit zu sehen, in der ein literarisches Werk entstanden ist. Wenn wir künftig nur noch "Weichgespültes" lesen dürfen, betrachte ich das als Eingriff in die persönliche Freiheit der Leser, denn streng genommen dürfte es dann einige Genres gar nicht mehr geben, kommt doch beispielsweise in jedem Thriller so einiges an Szenen vor, von denen sich manche Leser getriggert fühlen könnten. Bücher wie dieses von Melanie Möller sind gut und wichtig, denn die literarische Freiheit und Vielfalt muss erhalten bleiben.


Gesamtbewertung: 4/5
Cover: 4/5
Handlung: 4/5

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Kommentare

Thema: Der entmündigte Leser

Bücherjunge  aus DD
Bücherjunge aus DD
19.06.2024 - 09:47 Antworten

Liebe Blogger-Kollegin,
so manches kann ich nachvollziehen, jedoch nicht einen Vergleich mit "Neusprech". Mir geht es durchaus manchmal ähnlich, zum Beispiel beim Begriff "Indianer", wenn andererseits aus Ludwig Renns Buch "Der Neger Nobi" nur noch NOBI wird (bel gleichem Cover mit einem kleinen schwarzen Jungen) kann ich damit gut umgehen.
Die aktuelle Literaturlandschaft allerdings mit Orwells 1984 zu vergleichen oder gar gleichzusetzen, finde ich selbst für völlig überzogen und auch nicht zielführend.
Viele Grüße vom
Bücherjungen.


Klappentext

Der entmündigte Leser

von Melanie Möller
Cover: Der entmündigte Leser Literatur muss frei sein, wild, darf böse sein und muss auch weh tun können, sonst verliert sie ihren Reiz, sagt Melanie Möller. Sie muss ein Freiraum bleiben für ungeschützte Gedanken und scharfe Worte. Dafür liefert die Autorin einen wilden Ritt durch mehrere Jahrhunderte Literaturgeschichte im Kampf für die Freiheit des Worts.  
Bibelverbot für Schulen in Utah, Verbannung von Klassikern aus Lehrplänen und Schulbüchern, glättende Übersetzungen, zensierte Klassiker, politisch korrekte Vorgaben für Literatur, Sensitivity-Reading, Triggerwarnungen, Verbot ›schwieriger‹ Vokabeln: Ein Verhängnis!, sagt Melanie Möller und warnt davor, den Leser zu unterschätzen. In Sachen Kunst darf es keine Abstriche geben. Wer verwässert, entmündigt den Leser – und der ist schlauer, als man denkt. 
 »Was fehlt, ist ein leidenschaftlicher Kampf für die Autonomie der Literatur, der diese schützt wie eine bedrohte Minderheit – und zwar kompromisslos«, so die Autorin. Melanie Möller führt ihn.

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