Frauenschicksale – bei den Siegern und Besiegten
„Schwestern des brennenden Himmels“ von Hanna Caspian ist ein exzellent recherchierter historischer Roman voller Spannung und Dramatik, in dessen Mittelpunkt eine junge Britin deutscher Herkunft steht.
Kurz zum Inhalt:
Juli 1945. Potsdamer Konferenz. Churchill, Truman und Stalin entscheiden über die Aufteilung Deutschlands. Ann Miller, als Kind mit ihren Eltern von Deutschland nach England geflohen, mittlerweile britische Staatsbürgerin und Soldatin, befindet sich als Mitglied der britischen Delegation vor Ort. Ihre wahre Herkunft hielt sie stets geheim. Nun sucht sie heimlich in Potsdam nach überlebenden Verwandten. Ohne ihre wahren Motive zu kennen, hilft ihr ein amerikanischer Soldat.
Das Cover harmoniert mit dem Klappentext, symbolisiert die Verbindung Anns mit dem amerikanischen Soldaten. Das Buch erschien 2025 im Knaur Verlag. Es gliedert sich in vier Teile, und diese wiederum pro Tag in verschieden lange Abschnitte. Die Handlung umfasst den Zeitraum vom 3. Juli 1945 bis 6. August 1945, mit einigen Rückblenden. Der Schreibstil ist flüssig, eindrucksvoll, lebendig. Die Autorin hat exzellent recherchiert und versteht es meisterhaft, historische Ereignisse und die Atmosphäre so zu beschreiben, dass man emotional erfasst wird, das Gefühl hat, mittendrin zu sein. Ebenfalls hervorragend gelöst ist die Verquickung einer fiktiven Geschichte mit den historischen Fakten und Personen. Die Figurenübersicht sowie insbesondere den Stadtplan von Potsdam fand ich sehr hilfreich.
Erzählt wird chronologisch, mit einigen Rückblicken, primär aus Sicht von Ann, abgesehen von jenen Szenen, die Liesels jetziges und früheres Leben beleuchten. Die Perspektiven- bzw. Ortswechsel zwischen Anns Aufgabengebiet während der Konferenz und ihren „Ausflügen“ in die Trümmerstadt in der russischen Zone machen die Gegensätze offensichtlich. Auf der einen Seite das fast normale Leben mit ausreichender und exquisiter Verpflegung, guter Unterkunft und Vergnügungen, auf der anderen Hunger, Armut, Notunterkünfte und Ängste. Dieser Wechsel zwischen gewisser Leichtigkeit und den bedrückenden Szenen hilft einem als Leser, das Belastende zu ertragen, wie ein Pflaster auf einer Wunde. Die Wunde ist nach wie vor vorhanden, das Gelesene wirkt nach, doch man liest etwas getröstet weiter.
Ich wurde regelrecht hineingesogen in diese Atmosphäre einer Stadt in Trümmern, einer geteilten, von Fremden besetzten Stadt, wo die Menschen in Kellern dahinvegetieren, hungernd, der Willkür der Besatzer ausgeliefert, Frauen stets in Gefahr sind, vergewaltigt werden. Andererseits wird auch in Erinnerung gerufen, welches Grauen in den Konzentrationslagern passiert ist. Das ist beklemmend, das macht betroffen. Und dennoch wird einem auch bewusst, dass nicht alle Deutschen „Monster“ waren, dass die Nazis, lange bevor sie die Juden verfolgten, zuerst sich gegen das eigene Volk gewendet hatten. Gegen Andersdenkende. Gegen Kritiker. Wer nicht ihren Grundsätzen, nicht ihrer Politik folgte, wurde bestenfalls unterdrückt. Sie schwiegen, fügten sich, wurden Mitläufer, um nicht inhaftiert oder gar getötet zu werden. Diese Pressarien begannen schon bei den Kindern, in der Schule. Nur wenigen Menschen, die es wagten ihre Meinung gegen die Nazis zu äußern, gelang rechtzeitig die Flucht. Wie Anns Eltern. In einer Nacht- und Nebelaktion.
Anns Suche nach noch lebenden Verwandten erweist sich als ziemlich schwierig, da sie sich als Britin nicht frei im russischen Sektor bewegen darf. Doch sie findet Helfer, vor allem Jackson, einen amerikanischen Soldaten. Die sich sanft entwickelnde Liebesbeziehung zwischen Ann und Jackson gibt dem Roman nicht nur eine romantische Note, sondern bringt auch Anns Dilemma auf den Punkt. Ihre deutsche Herkunft – denn in den Augen der Alliierten sind ja alle Deutschen „Monster“.
Nicht nur die drei Hauptakteure Ann, Jackson und Liesel wirken lebendig, sondern generell sind die Menschen gut vorstellbar beschrieben. Ann und ihre Cousine Charlie lebten als Kinder wie Schwestern. Sie wiederzufinden, ist ihr sehnlichster Wunsch. Um ihr Ziel zu erreichen, riskiert Ann viel, sogar ihren Job. Sie handelt zielstrebig, hartnäckig und lässt sich auch von Schwierigkeiten und Rückschlägen nicht entmutigen. Dass sie gezwungen ist, ihre deutsche Herkunft Jackson gegenüber lange zu verbergen, belastet sie, denn Verlässlichkeit und Ehrlichkeit sind ihr wichtig. Jackson ist ein positiv eingestellter Mensch, optimistisch, meist gut gelaunt, emotional, empathisch. Ihn erschüttert, was er über die Konzentrationslager erfährt, aber er hat das Herz am rechten Fleck. Er hilft Anns deutscher Verwandte, er differenziert, dass diese junge Frau wohl eher Opfer des Krieges, der Nazis ist, als Täterin. Er sieht in Ann letztlich auch die Frau, die er liebt, und nicht einen Menschen deutscher Herkunft. Liesel verkörpert jenen Teil des deutschen Volkes, der sich den Richtlinien der Nazis fügte, sich anpasste, darauf achtete nicht aufzufallen. Ihr Vater war kein überzeugter Nazi, aber natürlich bei der Partei, weil es besser war, weil es sich sicherer lebte, wenn man dabei war.
Für mich war dieser Roman ein Lesehighlight sondergleichen. Er packte mich vom Anfang bis zum Ende, war spannend, berührend, beklemmend und erschütternd. Er war lehrreich und brachte mir eine Zeit näher, die mir in dieser Intensität noch nicht dargebracht wurde. Der Roman endet am 6. August 1945, an jenem Tag, an dem die Bombe auf Hiroshima fiel. Für mich liegt der Gedanke für eine Fortsetzung nahe. Ich würde es mir wünschen. Vorerst spreche ich eine unbedingte Leseempfehlung aus. Wenn es ginge, würde ich mehr als 5 Punkte vergeben.
Bookworm53
Bloggerin bei LeseHitsBookworm53
Kommentare
Schwestern des brennenden Himmels
Akribisch recherchiert – mit viel Gefühl erzählt: Der neue historische Roman von Bestseller-Autorin Hanna Caspian führt uns nach Potsdam unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs.
Nichts Geringeres als das Schicksal der Welt wird 1945, kurz nach Ende des 2. Weltkriegs, in Potsdam verhandelt. Während Churchill, Truman und Stalin auf Schloss Cecilienhof um Einigkeit ringen, riskiert ein junges Mitglied der britischen Delegation die Aufdeckung ihrer verdeckten Identität, die ihr Schutz und Überleben sichert: Ann Miller ist nicht, wer sie zu sein vorgibt, und sie muss unbedingt in die von den Russen besetzte Stadt gelangen. Dort hofft sie, ihre Cousine zu finden, an der sie einen bitteren Verrat begangen hat. Hilfe bekommt Ann ausgerechnet von Jackson Powers, einem amerikanischen Soldaten, der gute Gründe hat, alle Deutschen zu hassen. Auf keinen Fall darf Jackson herausfinden, wer Ann ist – erst recht nicht, als sie verbotene Gefühle für ihn entwickelt …
Die Potsdamer Konferenz, ein gebrochenes Versprechen und eine unmögliche Liebe in einer zerstörten Welt: Hanna Caspians historischer Roman »Schwestern des brennenden Himmels« macht ein hochspannendes Stück deutscher und europäischer Geschichte am Schicksal einzelner Menschen erfahrbar.
Von Hanna Caspian sind ebenfalls die historischen Sagas »Gut Greifenau« und »Schloss Liebenberg« erschienen.