Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Passend zu unserem Sommerurlaub in Italien habe ich Das lügenhafte Leben der Erwachsenen in meinen Koffer gepackt. Vielleicht lag es am italienischen Flair um mich herum oder Elena Ferrante hat es einfach drauf, aber ich durfte eine ganz wunderbare Geschichte über das Erwachsen werden lesen und hören. Aber lest selbst gerne mehr.
Darum geht’s
Neapel in den Neunzigern, Giovanna ist dreizehn Jahre alt, die Vorzeigetochter kultivierter Mittelschichtseltern, eine strebsame Schülerin. Doch plötzlich verändert sich alles, ihr Körper, ihre Stimmung, die Noten brechen ein, und immer öfter gerät sie mit ihren Eltern aneinander. Zufällig kommt Giovanna der Vorgeschichte ihres Vaters auf die Spur, der aus einem ganz anderen Neapel stammt, einem leidenschaftlichen, vulgären Neapel. Dort treibt sie sich herum, aber die Geheimnisse, auf die sie da stößt, verstören sie. Und als sie bei einem Abendessen bemerkt, wie ein Freund der Familie unterm Esstisch zärtlich die Füße ihrer Mutter streift, verliert sie vollends die Fassung. Denn wem kann sie überhaupt noch trauen? Und was soll ihr Halt geben? Oder ist sie selber bereits unrettbar verwoben in dieses lügenhafte Leben der Erwachsenen? (Quelle: Suhrkamp Verlag)
Zwischen zwei Welten
Zwei Jahre bevor mein Vater von zu Hause wegging, sagte er zu meiner Mutter, ich sei sehr hässlich. (S.9) Mit diesem Satz beginnt nicht nur das Buch, sondern auch Giovannas Geschichte. Dabei waren die Worte des Vaters eigentlich andere, aber wie soll ein Teenager das interpretieren, wenn sie vom Vater mit dem Äusseren der verhassten Tante Vittoria verglichen wird. Sie, die Putzfrau hat es nie aus dem ärmlichen Viertel heraus geschafft, wohin gegen sich der Vater durch Bildung aus dem Elend heraus gearbeitet hat und als Gymnasiallehrer und Intellektueller einen gewissen Ruhm genießt.
Nun ist aber Giovannas Neugier geweckt und sie möchte die geheimnisvolle Tante kennenlernen. Dadurch entdeckt sie auch ein ihr bisher unbekanntes, rohes Neapel und bewegt sich in zwei Welten. Während im höhergelegenen, geordneten Rione Alto die links-intellektuellen Ansichten ihrer Eltern und Freunde dominieren, geht es in der Zona Industriale schmutzig, chaotisch und vulgär zu und her. Vittoria bleibt nicht die einzige Bekanntschaft Giovannas in der Zona Industriale und so lernt sie nicht nur ihre Familiengeschichte aus einem anderen Blickwinkel kennen, sondern auch Lügen und Heucheln wie die Erwachsenen.
Eine ungewisse Zukunft
Erst verhält sich die Mutter merkwürdig und dann verlässt der Vater wegen einer langjährigen Affäre die Familie. Giovanna ist in diesem ganzen Chaos auf sich alleine gestellt und beobachtet ihre Mitmenschen genau. So zieht sie ihre eigenen Schlüsse und versucht Scheitern und Verrat um ein goldenes Armband zu erkennen und für sich zu deuten. Langsam entwickelt sich so ihr innerer Kompass, sodass sie die Fehler der Erwachsenen erkennt und vermeiden kann. Selbstbestimmt geht Giovanna ihren Weg heraus aus den Selbstzweifeln und hin zu einer inneren Emanzipation.
Gegen Ende der Erzählung reist Giovanna alleine mit dem Zug nach Venedig und damit auch einer ungewissen Zukunft entgegen.
»Ich habe es satt, den Worten anderer ausgesetzt zu sein. Ich muss wissen, wer ich wirklich bin und was für ein Mensch ich werden kann […].«
S.377
Meisterin des Introperspektive
Gerne würde ich noch ein wenig mehr von Giovanna und ihrer Entwicklung lesen, denn Elena Ferrante ist eine Meisterin der Introperspektive, des Privaten. Der Zeitgeist der 90er, in der ein Großteil von Giovannas Jugend spielt, kann man nur erahnen. In der Geschichte ist keine Rede vom Musikgeschmack des Teenagers oder politischen Skandalen der damaligen Zeit, was den ganzen Roman ungewöhnlich zeitlos macht. Auf eine Fortsetzung der Geschichte würde ich mich freuen.
Fazit
Das lügenhafte Leben der Erwachsenen ist ein sinnliches und sehr privates Buch. Es geht um das Heranwachsen eines Teenagers, um Beziehungen und Freundschaften, um die ersten sexuellen Erfahrungen, sowie die Abgrenzung zur eigenen Herkunftsfamilie. Wenn auch thematisch und zeitlich beschränkter als die Neapolitanische Saga, so vermag Elena Ferrante doch ein stimmiges Bild der Umstände zu zeichnen und beschreibt die inneren Kämpfe eines Teenagermädchens bildlich und gekonnt.
Nach wenigen Seiten war ich voll in der Lektüre drin und habe es genossen mit Giovanna ihre Heimatstadt und sich selbst neu zu entdecken.
Daniela | read eat live
Bloggerin bei LeseHitsDaniela | read eat live
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Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Neapel in den Neunzigern, Giovanna ist dreizehn Jahre alt, die Vorzeigetochter kultivierter Mittelschichtseltern, eine strebsame Schülerin. Doch plötzlich verändert sich alles, ihr Körper, ihre Stimmung, die Noten brechen ein, und immer öfter gerät sie mit ihren Eltern aneinander. Zufällig kommt Giovanna der Vorgeschichte ihres Vaters auf die Spur, der aus einem ganz anderen Neapel stammt, einem leidenschaftlichen, vulgären Neapel. Dort treibt sie sich herum, aber die Geheimnisse, auf die sie da stößt, verstören sie. Und als sie bei einem Abendessen bemerkt, wie ein Freund der Familie unterm Esstisch zärtlich die Füße ihrer Mutter streift, verliert sie vollends die Fassung. Denn wem kann sie überhaupt noch trauen? Und was soll ihr Halt geben? Oder ist sie selber bereits unrettbar verwoben in dieses lügenhafte Leben der Erwachsenen?
Elena Ferrante hat ein Bravourstück geschaffen und einen traurigen und schönen Roman geschrieben: über die Heucheleien der Eltern, die Atemlosigkeiten und Verwirrungen der Jugendzeit und über das Drama des Erwachsenwerdens. Darüber, wie es ist, ein Mädchen zu sein und eine Frau zu werden.