Cover: Winterbriefe aus Kirschlag
Adalbert Stifter
Winterbriefe aus Kirschlag
ISBN: 978-3-900-87802-3
48 Seiten | € 11.00
Buch [Gebundenes Buch]
Erscheinungsdatum:
01.01.1993
Historische-Romane
Adalbert Stifter

Winterbriefe aus Kirschlag

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Beginnen wir mit dem feinsten und holdesten, was wir für das Leben unseres Körpers und unserer Seele auf dieser Erde haben, mit dem Lichte. Wer kennt nicht das schauerlich schöne Gedicht Byrons »die Finsternis«, in welchem der Dichter erzählt, was wurde, nachdem das Licht von der Erde genommen war. Die Menschen zünden endlich Häuser, Kirchen, Wälder an, um Licht zu haben. Und zuletzt sind nicht mehr Menschen, Häuser, Kirchen, Wälder, und die Erde ist ein toter Klumpen.
Welche Glut und Pracht der Farben haben Pelze, Gefieder, Blätter, Blumen und Früchte des lichtreichen Mittelgürtels der Erde, und wie geht das alles in ein eintöniges graugrün, grau und weiß in den Gürteln der lichtarmen Pole über. Man gebe einer Pflanze Wärme, Feuchtigkeit, Luft und Erde in der besten Güte, und lasse ihr gar kein oder nur ein mattes Licht, und sie wird farblos, unkräftig, spindelnd und strebt mit Angst in die Länge, um irgendwo durch eine Ritze oder ein Loch hinaus in das freudige Licht zu gelangen. Und wer weiß es nicht an sich selber, wie Klarheit des Lichtes Klarheit der Seele ist, und Dumpfheit des Lichtes Dumpfheit der Seele. Nervenleidende können durch einen in die Wochen dauernden, gleichfarbigen, bleiernen, son¬nenlosen Himmel nach und nach zur Verzweiflung gelangen. Menschen mit geringem Leben der Nerven und der Einbildungskraft verharren freilich in dumpfem Lichte ohne Klarheit und ohne Dumpfheit, wie sie in klarem Lichte ohne Klarheit und ohne Dumpfheit verharren.
Die Hauptquelle des Lichtes für unsere Erde ist die Sonne. Ihr Licht stürmt mit einer Schnelligkeit, davon wir keine Vorstellung haben, in die Räume. Es durcheilt in jeder Sekunde über vierzigtausend Meilen. Körper von völliger Gleichheit ihres Wesens pflanzen die Bewegung des Lichtes fort, und heißen durchsichtig, solche, deren Wesen durch Stoffmischung unterbrochen ist, leiten es nicht so leicht, und heißen undurchsichtig. Das dichte, feste Glas, der noch dichtere Diamant sind durchsichtig, das lockere, lichtdurchzogene Glaspulver ist undurchsichtig, ebenso der Badeschwamm, der doch voll von Löchern ist. Das Licht wird nämlich beim Übergange von einem Stoffe in den anderen immer zum Teile in den alten Stoff zurückgeworfen, und je mehr solche Übergänge in einem Körper sind, desto weniger wird endlich das Licht, wenn es von dem Körper herauskommt, und da kein Stoff vollkommen gleichartig ist, ist auch keiner vollkommen durchsichtig, selbst die Luft nicht.
Daher ist das Licht, welches endlich durch die Luftschichten der Niederungen auf die Erde gelangt, schwächer, als das, welches auf den Gipfel eines hohen Berges niederglänzt. Das wissen Bergsteiger recht gut, wie ihnen alles an heiteren Tagen auf dem Berge in scharfem Lichte entgegen schaut, und bestimmte Schatten bildet, und wie selbst auf waagrechten Ebenen der Hochgebirge der sonnige Schnee leuchtet, daß er sogar Augenentzündungen zuwege bringt, was der sonnige Schnee der waagrechten Ebenen der Niederungen nie kann. Und das wissen auch die, welche länger auf einem Berge gelebt haben, wie ihnen in den Niederungen an den klarsten Tagen wegen größerer Dunkelheit gewissermaßen bange wird.
Dazu kommt noch etwas anderes, besonders bei größeren Städten. Wir sehen an den heitersten Tagen von unserem Berge hinab über der Donauebene und namentlich über Lim einen schmutzig blauen Schleier schweben, die Ausdünstung der Niederung und insbesondere die Ausdünstung der Menschen, Tiere, Schornsteine, Unratkanäle und anderer Dinge der Stadt. Der Mann, der aus der durchsichtigsten Bergklarheit auf diese Erscheinung nieder blickt, denkt unwillkürlich mit einer Art unheimlichen Gefühles daran, daß sie da unten in diesem Schwaden und Brodem Leben müssen. Endlich ist in Bezug des Lichtes noch zu beachten, daß die Niederungen, hauptsächlich die an Wässern, sehr oft an sonst heiteren Tagen Erdnebel oder Hochnebel ohne Sonne haben, während die Bewohner des hohen Berggipfels auf diesen Erdnebel oder Hochnebel wie auf ein silberschimmerndes Meer niederschauen, und über sich den blauen Himmel und die leuchtende Sonne haben.
Ich werde von der unaussprechlichen Pracht dieser Silbermeere, die wir heuer genugsam beobachten konnten, ein anderes mal sprechen, und mir auch erlauben, eine genaue Zusammenstellung der Licht-, Wärme-, Nebel- und Regenverhältnisse zwischen hier und Linz einzuschalten. Ich bemerke an diesem Orte nur, daß wir im Spätherbste oft 5 bis 6 Tage, dann nach Unterbrechung wieder mehrere Tage den hellsten Sonnenschein hatten, während in der Ebene Nebel lag vom 19. Dezember bis 2. Jänner, also 14 Tage, war in Linz ununterbrochen, mit Ausnahme von ein paar Abendstunden und zwei Mittagstunden des 31. Dezembers, teils Hochnebel, teils Erdnebel, und in Kirchschlag waren zwölf Tage davon ganze Sonnentage und zwei Tage waren bewölkt.

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Postleitzahl
Veröffentlichung: 01.01.1993
Höhe/Breite/Gewicht H 21 cm / B 15 cm / -
Seiten 48
Art des Mediums Buch [Gebundenes Buch]
Preis DE EUR 11.00
Preis AT EUR 11.00
Auflage 1. Auflage
Reihe Bibliothek der Provinz
ISBN-13 978-3-900-87802-3
ISBN-10 3900878021
EAN/ISBN

Über den Autor

Geboren am 23. Oktober 1805 in Oberplan (heute Horní Planá), Südböhmen, als Sohn einer Leinenweber- und Flachshändlerfamilie. 1818–1826 Gymnasium am Benediktinerstift Kremsmünster. Studium der Rechtswissenschaften, später der Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Wien, Hauslehrertätigkeit. Maler und Schriftsteller, ab 1840 Veröffentlichung von Erzählungen in Almanachen und Zeitschriften, die 1844–1850 in überarbeiteter Form unter dem Titel „Studien“ im Verlag Gustav Heckenast in Budapest erscheinen. Im Revolutionsjahr 1848 Übersiedlung nach Linz, ab 1850 Landesschulinspektor für die Volksschulen in Oberösterreich, Landeskonservator (1853) und Begründer der OÖ. Landesgalerie. Mitbegründer der Realschule zu Linz. 1853 erscheint die Erzählungssammlung „Bunte Steine“, 1857 der Bildungsroman „Der Nachsommer“, 1865–1867 der historische Roman „Witiko“; Arbeit an der Romanfassung der „Mappe meines Urgroßvaters“ (Fragment). Weitere Arbeiten als Maler und Zeichner. Ab 1863/64 zunehmende Krankheit, vermutlich Leberzirrhose, der Stifter am 28. Jänner 1868 nach einem Schnitt mit dem Rasiermesser in den Hals erliegt.

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