Milan Kundera mit 94 Jahren gestorben
Trauer um Schriftsteller
Milan Kunderas tragikomische Liebesgeschichten haben viele Menschen bewegt und wurden in alle Weltsprachen übersetzt. Mit dem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" wurde der Schriftsteller weltberühmt. Nun ist Kundera gestorben.
Der französisch-tschechische Schriftsteller Milan Kundera ist tot. Das gab die Mährische Landesbibliothek in Brünn (Brno) unter Berufung auf seine Ehefrau Vera bekannt. Der 94-Jährige war am Dienstag nach langer Krankheit gestorben. Über seinen Tod hatte auch das tschechische Fernsehen berichtet. Der bedeutenden Kultureinrichtung seiner Geburtsstadt hatte der Autor noch zu Lebzeiten seinen literarischen Nachlass anvertraut.
Kundera gehört zu den bedeutendsten europäischen Schriftstellern seiner Generation. Der internationale Durchbruch gelang Kundera 1984 mit dem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Das Buch über eine Ménage à trois vor dem Hintergrund des Prager Frühlings 1968 wurde später mit den Filmstars Daniel Day-Lewis und Juliette Binoche verfilmt.
Kunderas Bücher wurden in alle Weltsprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den "Prix Médicis", den Ritterorden der französischen Ehrenlegion und den Jerusalem-Preis.
Erst Lobeshymnen auf Stalin - dann ins Exil
Kundera wurde am 1. April 1929 in Brünn in Mähren geboren. Er stammte aus einer gebildeten Familie. Sein Vater war Rektor eines Konservatoriums, seine Mutter Lehrerin. Sein Vetter Ludvik war ein surrealistischer Schriftsteller. Als Jugendlicher lernte Kundera Klavier, trat im Überschwang in die kommunistische Partei ein, schrieb Lobeshymnen auf Stalin. Schon in der Schule begann er zu schreiben. Nach dem Abitur studierte er an der Prager Karlsuniversität Musik und Literatur, wechselte aber bald zu Regie und Drehbuch.
Seinen ersten großen Prosaerfolg feierte er mit losen Erzählungen über die "lächerliche Liebe". Sie zeigten ungleiche Liebespaare in grotesken Situationen. Mit dem Stalinismus setzte sich Kundera in seinem Roman "Der Scherz" auseinander. Seine Distanz zum Regime wurde immer größer. Und Kundera wurde später zu einem prominenten Vertreter der sozialistischen Demokratiebewegung "Prager Frühling".
Sein Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" machte Kundera weltberühmt.
Lebte seit Jahrzehnten in Frankreich
Die Kommunistische Partei der damaligen Tschechoslowakei (CSSR) schloss Kundera 1970 aus ihren Reihen aus, kurz darauf wurde er mit einem Publikationsverbot belegt. 1975 erhielt Kundera ein Ausreisevisum und siedelte mit seiner Frau Vera nach Frankreich über. 1979 wurde der Schriftsteller als Reaktion auf "Das Buch vom Lachen und Vergessen" ausgebürgert. In diesem Werk distanzierte er sich von seiner kommunistischen Vergangenheit. In seiner neuen Heimat Paris schrieb er "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins", in Tschechien erschien der Erfolgsroman erst 2006. 1981 nahm Kundera die französische Staatsbürgerschaft an. Nach seiner Emigration schrieb er mehrere Romane in französischer Sprache.
2019 erhielt er die tschechische Staatsbürgerschaft zurück. Die Initiative dazu ging vom ehemaligen Regierungschef Andrej Babis aus. Das Leben im Exil hat Kundera in vielen seiner Bücher thematisiert. Von den Schwierigkeiten der Rückkehrer handelt "Die Unwissenheit" aus dem Jahr 2000.
Inkognito zu Besuch bei Freunden
Kundera liebte es, seine Romane mit philosophischen Exkursen zu würzen. Er verstand sich als Verteidiger des europäischen Romans. "Der Roman ist eine Meditation, die durch imaginäre Figuren zum Kern der Existenz vordringt", schrieb er einmal. Es ging Kundera immer um die großen Fragen der Identität, der Geschichte, der Existenz. Oft wurde er als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt, doch nie erhielt er ihn.
Blick in die Bibliothek in Kunderas Heimatstadt Brünn.
Seine Bibliothek und sein Archiv vermachte er auf Initiative seiner Frau Vera der Mährischen Landesbibliothek. Sie wollte sein Werk retten und dorthin zurückbringen, wo es mit ihm entstanden war. "Das bedeutet Frieden, aber auch Wehmut über ein Leben, das zu Ende geht. Aber das Ende gehört dorthin, wo es begonnen hat. Und das ist in Brünn.
Über den Menschen hinter dem Schriftsteller Kundera ist wenig bekannt, obwohl er jahrzehntelang im Herzen von Paris lebte. Der Romancier sei einer, der "hinter seinem Werk zu verschwinden sucht", sagte er einmal. Interviews gab er kaum. Seine Jugendfreunde aus Brünn besuchte er nur inkognito - mit falschem Bart und Sonnenbrille.
Kunderas größter Wunsch blieb es bis zuletzt, als Schriftsteller hinter seinem eigenen Werk zu verschwinden: "Als Mensch ausgelöscht zu werden und keine anderen Spuren zu hinterlassen als die gedruckten Bücher".
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