Fragmentarium

Kaperfahrten

Chronologie aller Bände (1 - 6)

Die Reihenfolge beginnt mit dem Buch "Auf leisen Sohlen". Wer alle Bücher der Reihe nach lesen möchte, sollte mit diesem Band von Dagmar Dusil beginnen. Mit insgesamt 6 Bänden wurde die Reihe über einen Zeitraum von ungefähr 6 Jahren fortgesetzt. Der neueste Band trägt den Titel "Der Wille des Menschen ist antastbar".

  • Anzahl der Bewertungen für die gesamte Reihe: 22
  • Ø Bewertung der Reihe: 4.88
  • Start der Reihe: 15.03.2019
  • Neueste Folge: 11.11.2024

Diese Reihenfolge enthält 3 unterschiedliche Autoren.

Cover: Auf leisen Sohlen
  • Band: 10
  • Autor: Dusil, Dagmar
  • Anzahl Bewertungen: 3
  • Ø Bewertung: 5.0
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 15.03.2019
  • Genre: Sonstiges

Auf leisen Sohlen

Einläutung ins Dorfschreiberjahr
Von Oktober 2017 bis Oktober 2018 lebte ich zeitweise als fünfte Dorfschreiberin in Katzendorf in Siebenbürgen. Insgesamt verbrachte ich dort 182 Tage, 4.368 Stunden, 262.080 Minuten, 15.724.800 Sekunden, Sonnen- und Regentage, schwarze und Blutmondnächte, Haferlandzeit, Erleben „unplugged“.
Ich suchte die Begegnung mit Mensch, Tier, Landschaft, Pflanzen in der Realität und in der Vorstellungswelt. Die Begegnung suchte mich in Form von Fragen, Mutmaßungen, Neugierde und Hoffnung. Manchmal schlug mir auch Misstrauen, Skepsis und Unwille entgegen.
Die Eule versprach zu mahnen und zu wecken, der fette Siebenschläfer hatte es eilig bei seinem Lauf durch die Nacht, die Spinne sah mir beim Duschen zu, ungerührt und gelangweilt, die Mücken saßen auf der Lauer, sie wollten mein Blut, Leo, der Hund wurde zum zeitweiligen Beschützer, das minderjährige Kätzchen Lori wurde vom Kater des Nachbarn sexuell belästigt, gierige Wespen hatten es auf mein Frühstück abgesehen.
Jeder, dem ich begegnete, gab seine Sicht der Dinge preis. Eine Sommersächsin, die nicht mit der Mentalität der Roma klar kommt, die versunkene Welten auferstehen lässt, sommer-verbunden und winter-entfremdet mit Katzendorf, die Kuchen brachte und Dinge ändern möchte, die nicht zu ändern sind, die Menschen verändern möchte, die keine Veränderung wollen.
Vor meinem Dorfschreiberjahr war ich zweimal kurz in Katzendorf. Es waren flüchtige Besuche, die leise Zeichen hinterlassen haben. Eine breite Dorfstraße, eine mächtige Kirchenburg, Fremde, die es hierher verschlagen hat, eine zerfallene Welt, aus der Neues entsteht, ein Dichter, der Kulturfeste organisiert. In meinem Dorfschreiberjahr fand ich in Katzendorf und der näheren und weiteren Umgebung Überbleibsel aus der k. u. k. Monarchie, Spuren zweier Weltkriege, Überreste aus dem Kommunismus, Neureiche in protzigen Häusern. Durch die Medien erhielt ich Kenntnis von einer rumänischen Regierung, die wie nach einem Erdbeben wackelte. Eine solide ungarische Minderheit ließ die blau-weiße Fahne der Szekler durch Siebenbürgische Luft wehen. Um mich herum Schafe, Ziegen, Kühe, Pferde, Gräser, Kinder mit triefenden Nasen, Sommersachsen im Zuhause des Dorfes und „allround“ Rumänen, Ungarn und die dorf-präsenten Roma.
Besucher kamen und gingen. Lauschten und überzeugten sich von einem neuen Siebenbürgen. Kirchenburgen begeisterten, Ruinen polarisierten, der Entdeckergeist wurde geweckt. Das Siebenbürgen in der direkten Begegnung berührte.
Der Schlüssel zur Dorfbibliothek drehte sich eines Tages im Schloss und ich stand in dem seit vielen Jahren von niemandem mehr betretenen Raum, wo Bücher in drei Sprachen – deutsch, ungarisch und rumänisch – wie Dornröschen darauf warteten, zu neuem Leben erweckt zu werden. Ungern hatte der Bürgermeister den Schlüssel herausgerückt, nachdem ich zu einer kleinen List in Form einer Geschichte gegriffen hatte. Manchmal können Worte nicht nur Herzen sondern auch Türen öffnen.
Ein Jahr, in dem ein Pulk an Worten mich umkreiste und einschloss.
Worte, die wie Sand durch meine Hände fließen, blutrottriefend, silberfarbig schuppig glänzend, flüchtig schwarz oder wolkenweiß, neidisch gelb wie Dotterblumen, emsig wie Ameisen beim Melken der Blattläuse, hungriggrün wie der Froschkönig am Brunnenrand, nazibraun wie der zottige Hund, der an einem Augustmorgen in fahrigen Sonnenstrahlen furchterregend mitten im Garten stand.
Im Vorfeld wurden mir unzählige Fragen gestellt, von Siebenbürgern und Nichtsiebenbürgern.
Wieder zurück in Bamberg werde ich erneut mit Fragen konfrontiert.
Der Sprechgesang Katzendorfs klingt bei mir noch nach. Im Gesagten liegt viel Ungesagtes. Phantasie und Wirklichkeit sind austauschbar. Seelenwund verschwindet das siebenbürgische Dorf mit seinen Bewohnern in den Nebeln der Zeit.
Dank an alle Herzensmenschen, die mir begegnet sind und mich inspiriert haben.

Bamberg, im Januar 2019
Cover: Kaperfahrten
  • Band: 13
  • Autor: Abel, Uta
  • Anzahl Bewertungen: 0
  • Ø Bewertung:
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 24.05.2019
  • Genre: Sonstiges

Kaperfahrten

„Die Kogge“ als europaweit offene Autorenvereinigung ist auf ihre Art einmalig und die älteste ihrer Zunft. In fünf Jahren, 2024 werden seit ihrer Gründung einhundert Jahre vergangen sein. Himmerod-Fahrer treffen sich 2021 bereits zum fünfzigsten Mal. Pater Stephan Reimund Senge lädt jährlich dazu ein.
Die Mannschaften der Kogge stammen aus fünfzehn Ländern. Sie dichten und schreiben Bücher, vor allem in deutscher Sprache. Bei den Kogge-Treffen in verschiedenen „Häfen“ Deutschlands steht der „Handel mit Geschichten“, der Austausch von Texten im Mittelpunkt, so auch zum Himmerod-Forum.
Den Himmerod-Fahrern bietet das Salmtal in der Vulkaneifel Jahr für Jahr ein entspanntes Klima. Pater Stephan und wenige Mitarbeiter der Zisterzienser-Abtei, besonders Wolfgang Valerius und Hannelore Nellesen, betreuen die Gäste und organisieren das kulturelle Leben. Im Zentrum steht die hohe Abteikirche, östlich über dem Salmtal. Sie trägt einen Ziergiebel und im Querschiff eine klangvolle Orgel. Der imposante Komplex des Klosters schließt direkt an die Kirche an; nur Mönche fehlen seit kurzem.
Im rechten Winkel umschließt die Front der Gästehäuser den grünen Hof mit Buchhandlung, Gaststätte, Torgebäude. Die museale Wassermühle, die Fischteiche an der Salm bilden den Hintergrund des Ensembles, das nur einmal, zu Himmelfahrt laut wird, wenn dutzende Pilger einziehen.
Im Umkreis der Abtei entstehen durch die Kogge-Autoren und einige schreibende Gäste besondere Geschichten und Verse, dem Jahresthema verbunden. Bei den Treffen werden die Bücher gezeigt, wird getauscht, mit gekaperten Schätzen geprahlt, wird übersetzt und erzählt, geschrieben und sich erholt.
Zehn Jahreskapitel im folgenden Buch versammeln eine Auswahl von Himmeroder Texten. Viele davon wurden von uns bei öffentlichen Lesungen dem Publikum vorgestellt.
Den sechsten Teil der Anthologie widmen wir ausschließlich Pater Stephan, der in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag begeht.
Wir nehmen in das Buch auch drei unserer AutorInnen auf, treue Himmerod-Fahrer, die in den letzten zehn Jahren bereits verstorben sind. Beim Lesen erinnern wir uns an sie, an ihre Geschichten und Verse, für die wir danke sagen.
Als Kogge-Autoren lieben wir es, Seeräuber, Kauffahrer, Handelsleute in einer Person zu sein. Oft fällt uns das Kapern in eigener See leichter, als das Handeln mit Büchern. Über solche Erfahrungen reden wir, machen uns Mut, schenken Vertrauen und heuern immer wieder neue Autoren an.
In der historischen Kogge-Seefahrt waren Piraten die Schre-cken der Meere. Wir kommen dem Publikum friedlich entgegen, aber wir legen es darauf an, den Kontinent zwischen den Ohren, bis zum Bersten gefüllt mit Erinnerungen, Erlebnissen, Phantasien, immer wieder neu zu durchfahren, dabei wertvolle Stücke an uns zu reißen, auch mit Mut zum sprachlichen Risiko.
Vor zehn Jahren, 2009, trug unsere Anthologie den bezeichnenden Namen „Strandgut“. Heute präsentieren wir „Kaperfahrten“, gesammelte Prisen, Geschichten und Verse, literarische Beutestücke, durch Selbstausbeutung erworben. Sie erlauben uns durch die Vielfalt der Themen und die Fülle an Ausdruck und Formen der Texte einen weiten Blick auf die literarische Arbeit der jung gebliebenen Kogge.

Małgorzata Płoszewska, Bernd Kebelmann
Dezember 2018
Cover: So is(s)t Hermannstadt
  • Band: 15
  • Autor: Dusil, Dagmar
  • Anzahl Bewertungen: 13
  • Ø Bewertung: 4.5
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 10.09.2019
  • Genre: Sonstiges

So is(s)t Hermannstadt

Wie Hermannstadt isst und schmeckt, ist das Anliegen dieses Buches. Wie hat Hermannstadt in früheren Zeiten geschmeckt? Nostalgisch, bürgerlich. Wie schmeckt Hermannstadt heute? Modern, neu, interessant. Wie hat Hermannstadt nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Zeit bis zur Revolution 1989 geschmeckt? Sparsam, karg, nach Not. Schmeckt Hermannstadt siebenbürgisch-sächsisch, rumänisch, ungarisch? Oder nach einem Gemisch aus allen dreien?

Wie ist Hermannstadt und wie isst Hermannstadt? Und die Antwort lautet: Einmalig und schmackhaft, vielfältig und europäisch. Lokal und international, einfach und raffiniert. Der Tradition verhaftet und doch modern.

Hermannstadt ist nicht nur eine warme Stadt der Herzen sondern auch eine Stadt mit Geschmack und das im wahrsten Sinne des Wortes. Hermannstadt hält für jeden Gaumen und jeden Geldbeutel etwas bereit.

Die in diesem Buch aufgeführten Essen sind eine Hommage an unsere wunderbaren Mütter, die in schweren Zeiten Schmackhaftes auf den Tisch zauberten.
Cover: Mit Erinnerungen gepflastert
  • Band: 28
  • Autor: Dusil, Dagmar
  • Anzahl Bewertungen: 4
  • Ø Bewertung: 5.0
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 25.08.2022
  • Genre: Sonstiges

Mit Erinnerungen gepflastert

Die Texte im vorliegenden Band berühren, informieren, beschreiben, blicken in ein Hermannstadt, das es heute so nicht mehr gibt. Sie sind zum Teil gut recherchiert und dokumentiert oder verlieren sich einfach in Erinnertem. Die Straßen sind die Adern der Stadt und schwemmen Erinnerungen und Erlebtes an oder weg, übergeben all dies der Stadt, und so werden es nicht mehr unsere Erinnerungen sein, sondern die der Stadt. Momentaufnahmen, die Bilder entstehen lassen.

Das letzte Haus war auch ein Einfamilienhaus und war das Eckhaus zum Philosophengang auf der linken Seite. Es trägt schwer an einer Erinnerung. Christel, die zweitälteste Tochter der Konrads, war Studentin in Klausenburg. Der politische Geheimdienst hatte sie unter Druck gesetzt. Er forderte von ihr, über ihre Kommilitonen und Freunde zu berichten. Sie eigerte sich.
Hannes Elischer, Die Walkmühlgasse

Wenn aber der laue Sommerwind das Laub der Linden im Garten von Fräulein Schullerus und das des uralten Nussbaumes im Hof von Tante Clara, unserer lieben Nachbarin, sanft streichelt, erreicht das geheimnisvolle Rauschen über Hunderte und Tausende Kilometer Entfernung unsere Seelen und erinnert uns an die Kinder, die wir einmal waren ...
Adrian Ernster, Die Grabengasse

Vorwort oder wenn alle Straßen erzählen

Hermannstadt ist die Stadt, die Fremde begeistert und ihren Bewohnern einen Stempel aufdrückte und aufdrückt. Ich wage zu behaupten, dass die Einwohner Hermannstadts mehr mit der Stadt verbunden sind als mit dem Land. Der Genius Loci hat sie geprägt, lässt im Rückblick das Paradies der hier verbrachten Kindheit wieder wach werden, verklärt auch ab und zu das Gewesene. Es wird verglichen, geurteilt, verurteilt, es werden Sehnsüchte geweckt.
36 Hermannstädter und solche, die hier einige Zeit verbracht haben, sind unserem Aufruf gefolgt und haben Texte zu Straßen verfasst: zu ihrer Straße, zu gegangenen Wegen, zu Erlebnissen und, und, und.
Ich weiß nicht, wie es bei den Bewohnern anderer Städte ist, bei den Hermannstädtern lautet in den meisten Fällen die erste Frage: Ober- oder Unterstadt? Und welche Straße? Ach, das Haus an der Ecke? Die Straße mit den Lindenbäumen? Sah man nicht die Turmuhr von dort?
Die Texte im vorliegenden Band berühren, informieren, beschreiben, blicken in ein Hermannstadt, das es heute so nicht mehr gibt. Sie sind zum Teil gut recherchiert und dokumentiert oder verlieren sich einfach in Erinnertem. Die Straßen sind die Adern der Stadt und schwemmen Erinnerungen und Erlebtes an oder weg, übergeben all dies der Stadt, und so werden es nicht mehr unsere Erinnerungen sein, sondern die der Stadt. Momentaufnahmen, die Bilder entstehen lassen.
Die Pandemie hat auch vor der Entstehung dieses Buches nicht Halt gemacht. Dadurch hat sich die geplante Veröffentlichung um fast zwei Jahre verzögert. Zwei der Autoren erleben die Veröffentlichung des Bandes leider nicht mehr: Hannes Elischer erlag einer schweren Krankheit und konnte so seinen Text über die Walkmühlstraße nicht mehr in gedruckter Form erleben, ebenso Adrian Ernster, mit dem ich interessante Gespräche in Israel geführt habe und der sich auf einen Besuch in Hermannstadt gefreut hat. In seinem Text setzt er der Grabengasse ein Denkmal.
Als Herausgeberin habe ich versucht, die Straßentexte zu gruppieren und ihnen einen Titel als Hut aufzusetzen. Nur in Ober- und Unterstadt zu unterteilen wäre zu wenig gewesen, Zentrum und Randviertel zu einfach. Es sind 11 Gruppen aus 36 Texten entstanden. Und da alles mit einem Schritt beginnt, der zu einem Weg führt, vereinen die ersten Texte „Wege“ durch die Stadt. Manch ein Titel ist subjektiv von mir gewählt worden und nicht ganz ernst zu nehmen. „Feine Straßen“ irritiert vielleicht. Doch für mich als Kind führte der Weg zu meiner Großmutter in eine „feine Straße“, wo es anders roch, die Bäume dufteten, die Gärten voller Blumen waren. Heute schmückt sich eine Straße mit dem Namen „Die schönste Straße Hermannstadts“ – ob sie es tatsächlich ist? Drei Autoren widmen ihr einige Zeilen. Doch es gibt auch Straßen „Im Herzen der Stadt“, „Hinter der Bahnlinie“, „Am Rande der Stadt“, der Leser darf sich in „Alte Straßen“ verirren, auf die „Konradwiese“ gelangen, in die „Unterstadt“, „In Richtung Josephstadt“ gehen oder „Mit fremdem Blick“ betrachten. Die Eintrittskarte zu allen Wegen ist der Hunsrück, kein Prosatext, sondern ein Gedicht.
Wie heißt es so schön in England, wenn eine Frau heiratet? Something old and something new, something borrowed and something blue. Was das mit diesem Buch zu tun hat, mag sich der Leser fragen. Machen wir uns trotzdem diesen Spruch zu eigen für dies Buch. Die meisten der Texte beinhalten Erinnerungen. Um eine Verbindung zum heutigen Hermannstadt herzustellen, habe ich mich entschlossen, zum Großteil aktuelle Bilder zu verwenden. Und was ist geliehen? Wahrscheinlich die Erinnerungen, die irgendwann nicht mehr unser Eigentum sind, doch die Stadt leiht sie uns, lässt uns darin schwelgen. Und was ist blau? Ein „Vergiss Hermannstadt nicht“, die Augen der Stadt?

Ich danke allen, die mich bei der Herausgabe dieses Buches unterstützt haben.
Traian Pop hat die Veröffentlichung des Bandes in letzter Minute möglich gemacht. DANKE dafür!

Dagmar Dusil, im Juli 2022 in Hermannstadt
Cover: Im Schnee der Erinnerungen
  • Band: 29
  • Autor: Dusil, Dagmar
  • Anzahl Bewertungen: 0
  • Ø Bewertung:
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 22.07.2024
  • Genre: Sonstiges

Im Schnee der Erinnerungen

Das Erinnern hat seine eigenen Regeln, geht selektiv vor. Daher auch der Titel des vorliegenden Bandes: Im Schnee der Erinnerungen. Was verbinden wir mit Schnee? Reinheit, Wünsche, Erinnerungen, Kindheit. Doch Schnee hält nicht ewig, er schmilzt und taut, ist nicht mehr da, verändert seinen Aggregatzustand. Verhält es sich nicht auch mit verschütteten Erinnerungen so? Wie werden sie freigesetzt? Wann stürmen sie auf uns ein, wann nicht?
Es ist ein lebendiger Sammelband entstanden, der eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat und den Blick hinter die Kulissen in die Vergangenheit der Protagonistin „Hermannstadt“ lenkt. Die Stadt – das ist unser weibliches Hermannstadt – ist das Bild einer Grand Dame, die bezaubert und nostalgisch stimmt. Das Stadtbild – ist vergänglichkeitsresistent neutral und hält den Besucher oder ehemaligen Bewohner auf Distanz. Der Stadtkern – die männliche Seite Hermannstadts ist uneinnehmbar, wehrhaft jeden Zentimeter verteidigend.
Die Industriegründungen erfolgten bei den Sachsen nicht – wie im übrigen Siebenbürgen – auf Initiative der Wiener und Budapester Hochfinanz, sondern sie resultierten oft aus kleineren und mittleren gewerblichen Betrieben. Diesen Sachverhalt verdeutlicht eine Statistik aus dem Jahr 1933, laut der von 124 sächsischen Unternehmen Siebenbürgens nur eines mehr als 1.000 Arbeiter beschäftigte, 17 lagen zwischen 100 und 1.000 und die übrigen unter 100 Beschäftigten.
Volker Wollmann – Dokumentiert
Ich hatte ganz andere Probleme. Nach meiner Militärzeit wusste ich nicht so genau wohin mit meinem Leben. Die ganze Nachbarschaft wollte mir helfen. Dieter Göllner versuchte, mich beim Radio unterzubringen. Nae Ionescu, der Jazzgott Hermannstadts und unser Nachbar, wollte aus mir einen Sänger machen und Herr Lala aus der Voltairestraße einen Buchhalter. So wurde ich Buchhalter auf der Hohen Rinne im Hotel Casa Turiştilor.
Wolfi Klein - Erinnert

Die einst im Sommer mit betörend duftenden Lindenbäumen bestandene Arzstraße, die von der Leschkircherstraße/str. Ștefan cel Mare bis zur Michaelisstraße/str. Călţun reicht, ist mit 516 Metern nicht die längste, aber die wohl schönste im Viertel. Einige der gediegenen, in einem lokalen Heimatschutzstil erbauten Einfamilienhäuser besitzen auch Mansarden.
Konrad Klein – Recherchiert
Cover: Der Wille des Menschen ist antastbar
  • Band: 31
  • Autor: Blandiana, Ana
  • Anzahl Bewertungen: 2
  • Ø Bewertung: 5.0
  • Medium: Buch
  • Veröffentlicht: 11.11.2024
  • Genre: Politik

Der Wille des Menschen ist antastbar

Geleitwort des Übersetzers

Rumänien liegt in Europa, ist seit 2007 Mitglied der Euro-päischen Union, ist ein bedeutender Grenzposten der Nato vor der Ukraine – und ist vielen, nicht zuletzt Rumänen selbst, ein
Rätsel geblieben. In diesem Buch wird das Rätsel in all seiner Widersprüchlichkeit ausbuchstabiert. Ana Blandiana ist eine der bedeutendsten Stimmen Rumäniens, ihre Lyrik- und Prosa-
bücher sind in vielen Sprachen, auch auf Deutsch, erschienen. Zu Hause hat sie schon vor 1989 gegen jedes ideologische Diktat eine besondere literarische und moralische Autorität entfaltet. Ihre – oft spektakulär – durch die Zensur geschleusten poetischen und publizistischen Texte wurden nicht nur im Zeichen der Komplizenschaft eifrig gelesen, sondern, handschriftlich vervielfältigt, gewissermaßen zu widerständigem „Volksgut“.
So trat sie nach der Revolution als eine der wenigen Persönlichkeiten an die politische Öffentlichkeit, denen keinerlei Kompromisse mit irgendwelchen Machthabern nachgesagt wurden – und erschien wie wenige prädestiniert, die Freiheit, der sie das Dichterwort geredet hatte, nunmehr in einem zu gründenden Rechtsstaat umzusetzen. Erst recht und konsequent hat sie sich allen einschlägigen Ämtern verweigert, allerdings über ihre Lyrik und Prosa hinaus mit öffentlichen Auftritten und Initiativen inmitten aller postkommunistischen Wirren den Aufbau einer neuen Ordnung zu befördern gesucht. Sie war Begründerin und treibende Kraft der für das wertkonservative Lager lange Zeit mitentscheidenden Bürgerallianz Alianţa Civică. Die Gedenkstätte Memorial Sighet, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Romulus Rusan unter der Schirmherrschaft des Europarates in einem ehemaligen stalinistischen Gefängnis geschaffen hat, ist neben ihrem schriftstellerischen Werk ein dauerhaftes Zeugnis humanistischen Wirkens über alle politischen Verwerfungen hinweg.
Eine Frau behauptet sich in einem Politik- und einem Literaturbetrieb, die zwar nicht nur von Männern, dafür durchgehend von „mannhafter“ Brutalität und Niedertracht bestimmt sind. Die rauen Unsitten der durch und durch verrotteten und hinterhältig gewalttätigen Ceauşescu-Diktatur feiern höhnische Urständ in einer genauso menschenverachtenden postsozialistischen Konsumgesellschaft. Das gewissenlose Personal von einst hat den Sprung von der ideologisch maskierten zur unverhohlen mafiosen Korruption nachgerade akrobatisch bewältigt. Die in der Verwaltung der Misere eingeübten Fertigkeiten der Apparatschiks, Schergen und Spitzel bewähren sich aufs Unheimlichste in nunmehr obszön offen ausgetragenen Machtkämpfen. Mit anekdotisch untermalten, jedoch schonungslos entlarvenden Rückblicken auf die Trostlosigkeit des Sozialismus schildert Ana Blandiana die vermeintlich neue rumänische Welt, vor allem aber die Mühen, die es kostet, sich von dem zügellosen Missbrauch der Freiheit wahrhaftig frei zu halten.
Ihre eigene Biographie liefert dabei den Stoff für eine Gesamtschau auf die rumänische Nachkriegsgeschichte, deren Dramatik ein ganzes Volk und verschärft seine Intellektuellen dermaßen versehrt hat, dass auch die Revolution von 1989 nicht anders als blutig ausfallen konnte. So hat auch die Folgezeit wenig anderes als schmerzliche Brüche und blankes Elend über die nunmehr umso ratlosere, von gewissenlosen Geschäfte- und Medienmachern verstörte Gesellschaft gebracht. Vielen Menschen ist die Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin begegnet, ob im Kreis der Kollegen oder im „richtigen Leben“, welches das Attribut nur in seiner sarkastischsten Bedeutung je verdient hat. Ob sie beim Namen genannt, mit Initialen versehen oder anonym ihre Erinnerungen bevölkern, alle sind sie gleich der Autorin selbst Opfer von Manipulation und werden gleichwohl notgedrungen zu deren (Mit-)Tätern. So ist dies ein grandioses Buch der herb enttäuschten und gerade deshalb unbeirrt, ja inständig gehegten Hoffnung geworden.
Den Enttäuschungen hat Ana Blandiana nichts als Anstand, Verstand und poetische Sensibilität entgegenzusetzen. In ihrem unbestechlichen Nachdenken allerdings meidet sie jede Bitterkeit. Selbstdisziplin, gestählt in so vielen Auseinandersetzungen mit dem kommunistischen und dem kryptokommunistischen Apparat und dessen Profiteuren vor1989, erst recht aber danach, befähigt sie zu der Einsicht, dass selbst die ärgste Verkrüppelung, die dem Menschen angetan wird, nicht anders ist als eben menschlich. Menschenliebe bedeutet harte Arbeit, die aber hat ein Schriftsteller zu leisten, noch ehe er sich an sich selbst abarbeitet. Dies tut die Autorin mit derselben Disziplin und ohne Beschönigung – verpflichtet nur einer Schönheit, die in der Offenheit und Klarheit des sprachlichen Ausdrucks liegt. Folgerichtig ist darum, dass sie sich – auch auf Nachfrage – ausdrücklich nicht bereitfindet, etwa auf das generische Maskulinum zu verzichten. Ihr Entgegenkommen dem deutschen Leser gegenüber dokumentiert sie dafür mit den in Fußnoten und einem Anhang gebotenen Erläuterungen.
In der Gestalt von Ana Blandiana lebt der europäische Geist Rumäniens, den selbst kluge Landsleute unter den Trümmern der fremdbestimmten, aber auch selbstverschuldeten Vergangenheit verschüttet geglaubt haben. Die Klage über all die Momente historischen Versagens gipfelt bei ihr nie in resignativer Erbitterung, sondern ist stets Anlass zu elegischer Besinnung und rigoroser Reflexion. Weibliche Sanftmut und lyrische Empfindsamkeit gehen einher mit bohrenden Fragen nach den Gründen längst nicht bewältigter Unmündigkeit und dem Umgang damit, dem Ausgang daraus. Die Strahlkraft der Texte verdankt sich dichterischer (Zu-)Gewandtheit ebenso wie sittlicher Standhaftigkeit. Selbst niederschmetternde Urteile über Personen der Zeitgeschichte ebenso wie über rumänische Eigenheiten, die Ana Blandiana einem schwankenden „Volkscharakter“ zuschreibt, geraten ihr zu umsichtig dialektischen, nachgerade verständnisinnigen Plädoyers für Menschlich-Allzumenschliches.

Georg Aescht

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