»Gedichte, Romane, Erzählungen, Essays – Lutz Seiler bewegt sich seit Mitte der 1990er Jahre als ein Grenzgänger durch die Genres und gewinnt jeder Gattung neue faszinierende Schattierungen ab, gerade auch durch literarische Wechselwirkung. So blitzen Motive aus seinen frühen Gedichten, in denen er sich ostdeutsche Industrielandschaften magisch anverwandelt, in seinem funkelnden Inselroman Kruso (2014) auf. Die Endzeit der DDR vermittelt sich über die Utopie einer Gruppe von Aussteigern und kommt wie eine Abenteuergeschichte daher, die sich immer wieder in poetisch-grotesken Szenerien zuspitzt. Dass Texte in Weckgläsern gelagert werden, ist eine Wendung aus Lutz Seilers eindringlichen Essays Sonntags dachte ich an Gott (2004) und wird zu einem treibenden Moment in seinem mitreißenden Wenderoman Stern 111 (2020). Ein zurückgelassener Shiguli vermittelt da ebenso existenzielle Erfahrungen wie die Gesellschaft einer Ziege und gemeinsames Hausbesetzertum. Einprägsame Bilder zeichnen auch seinen jüngsten Lyrikband schrift für blinde riesen (2021) aus, in dem das für den Uranabbau geschleifte Dorf seiner Kindheit in höchster Verdichtung heraufbeschworen wird: ›ortsdurchfahrt culmitzsch: schläfengesang/ & zitterndes sagen – zur halbwertzeit addierten wir/ die kranken tage, fahrn, so fahrn, noch tausend jahre‹. Ausbrüche aus Wahrnehmungsmustern, Neuanfänge auf ungewohntem Grund, der Blick auf die vom Menschen versehrte Natur ziehen sich durch sein Werk, in dem auf einzigartige Weise unsere Zeit pocht – die Gegenwart als Spannungsgefüge der erinnerten Vergangenheit.«
Der Jury des Berliner Literaturpreises 2023 gehören Dr. Maike Albath, Prof. Dr. Michael Gamper, Cornelia Geißler, Janika Gelinek und Prof. Dr. Steffen Martus an.
Lutz Seiler reagiert auf die Auszeichnung mit folgenden Worten:
»Ich freue mich sehr über den Preis. Berlin liegt also doch am Meer – und ich darf jetzt Matrose sein auf einem jener stolzen Schiffe, mit denen die Stiftung Preußische Seehandlung Kunst und Künstler befördert.«
Der Preis wird im Rahmen des 40-jährigen Stiftungsjubiläums am 21. September 2023 durch den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt feierlich verliehen. Die Laudatio hält Dr. Helmut Böttiger.