Wolfgang Schwerdt

Aufbruch im Licht der Sterne

06.06.2024 - 08:45 Uhr
Cover: Aufbruch im Licht der Sterne

Die Literatur über die legendären Reisen des James Cook ist vielfältig, schließlich gilt der britische Seefahrer und Kartograf als „Entdecker der Südsee“. Dabei konnte er sich zunächst auf die Berichte seiner europäischen Kollegen stützen, die wie beispielsweise Abel Tasman, Samuel Wallis oder Louis Antoine de Bougainville mit den Fidschiinseln, Neuseeland und natürlich Tahiti auf einzelne Inselgruppen des gigantischen polynesischen Kulturraumes gestoßen waren. Deren Begegnungen mit den Indigenen waren allerdings alles andere als ermutigend und selbst dem sendungsbewusstesten und selbstgefälligsten Europäer musste schnell klar werden, dass weitere Entdeckungen oder gar eine „Inbesitznahme“ ohne die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung zum Scheitern verurteilt sein mussten.

Das indigene Erbe „europäischer Entdeckungen“

In seinem Buch „Aufbruch im Licht der Streune“ beschreibt Frank Vorpahl, warum es James Cook im Rahmen seiner drei Südseereisen doch gelungen war, die Dimension und Struktur des polynesisch-australischen Raumes zu erfassen und warum er am Ende seiner europäischen Geisteshaltung zum Opfer fiel. Hierfür nimmt Vorpahl einen Perspektivwechsel vor und betrachtet die Ankunft der Europäer auf Tahiti und die Folgen aus der Sicht der indigenen Protagonisten. Die Erkenntnis, dass die europäischen „Entdeckungen“ und Eroberungen, egal ob in Amerika, Afrika, Asien oder eben in der Südsee ohne die Unterstützung jeweils einheimischer „Kollaborateure“ trotz überlegener Waffentechnologie wohl kaum hätten stattfinden können, sind inzwischen nicht mehr ganz neu. Doch der indigene Blick, den Vorpahl in seinem Buch vornimmt, liefert dem/der LeserIn noch einmal neue Erkenntnisse und Denkanstöße.

In der Fremde

Denn die „willfährigen Gehilfen“, die bestenfalls „edlen Wilden“, die die weißen Ankömmlinge für „Götter hielten“ entpuppen sich vor allem in der Person des Tupaia als Persönlichkeiten, deren mentale und kulturelle Kapazitäten und Fähigkeiten denen der aufgeklärten europäischen Eliten in Nichts nachstanden. Im Gegenteil, während sich selbst der für seine Zeit sehr fortschrittlich denkende Georg Forster nicht aus den europäischen Denkmustern zu lösen vermochte, schien der polynesische „Machtpolitiker“ Tupaia recht schnell zu durchschauen, wie die Europäer tickten und dies für seine Zwecke zu nutzen. Schritt für Schritt entwickelt der Autor am Beispiel der drei Tahitianer unterschiedlichen sozialen Status und Kompetenzen Tupaia, Maheine und Mai das Bild der pazifischen Hochkultur, die den Forschern trotz recht intensiver Kontakte fremd geblieben war. So fremd, dass James Cook wohl auf seiner letzten Reise ohne indigenen „Fremdenführer“ letztendlich seinen „kulturellen Missverständnissen“, wie viele Weiße zuvor, zum Opfer gefallen war.

In Schatten der europäischen Helden

Besondere Berücksichtigung haben die indigenen Reisebegleiter in Cooks Reisetagebüchern ohnehin nicht erfahren. Kein Wunder, denn viele der großartigen Entdeckungen Cooks basierten vor allem auf den Kennnissen und Fähigkeiten Tupaias, der den legendären Kapitän nicht nur als Navigator durch die Riffe und Untiefen der Archipele lotste, sondern sogar mit einer aus dem Kopf gezeichneten recht präzisen Karte der polynesischen Inseln versorgte, Fakten, die bei entsprechender Würdigung, den unsterblichen Ruhm des britischen Entdeckers zweifellos hätte verblassen lassen. Tupaia war als einziger in Batavia an Skorbut gestorben, eine Tatsache, die sich in offiziellen Berichten ebenfalls nicht sonderlich gut machte, wenn man sich rühmte, auf der ganzen Reise keinen einzigen Man durch eben diese Seefahrerkrankheit verloren zu haben. Insofern ist die Quellenlage für eine Arbeit, wie sie Vorpahl unternommen hat, denkbar schlecht.

Neuer Blick auf alte Geschichte/n

Doch der promivierte Historiker, Autor, Filmemacher und langjähriger Cook/Forster-Forscher hat bei seinen Recherchen nicht nur in historischen Quellen und Fachliteratur, sondern auch direkt vor Ort recherchiert. Herausgekommen ist ein faszinierendes Bild der polynesischen Gesellschaft und Kultur und eine Perspektive, die durchaus geeignet ist, die eurozentrische Zuordnung von Begriffen wie zivilisiert, kultviert oder aufgeklärt infrage zu stellen.

Wieder einmal ein gelungenes Buch des Autors, das dem/der LeserIn einen neuen Blick auf scheinbar altbekannte Geschichte/n und übrigens auch auf die einschlägigen ethnologischen Sammlungen eröffnet.

Frank Vorpahl; Aufbruch im Licht der Sterne. Wie Tupaia, Maheine und Mai Captain Cook den Weg durch die Südsee erschlossen. Galiani 2023, gebunden mit Schutzumschlag, 252 Seiten.


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 4/5
Handlung: 5/5
Blogger: Wolfgang Schwerdt

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Klappentext

Aufbruch im Licht der Sterne

Sachbuch von Frank Vorpahl
Cover: Aufbruch im Licht der Sterne Ohne sie wäre kein Europäer lebend zurückgekommen: Tupaia, Maheine, Mai – die Indigenen, die James Cooks Entdeckungen in der Südsee erst möglich machten.
James Cook gilt als bedeutendster Entdecker nach Kolumbus. Freilich: Ohne Tupaia, Maheine und Mai wären seine Reisen unmöglich gewesen. Sie führten Cook in die Welt der Südsee ein, bewahrten seine Schiffe vor gefährlichen Korallenriffen und ersparten es ihm, in Neuseeland von den Maori als Eindringling massakriert zu werden.
Tupaia, Meisternavigator, Hohepriester und Chefberater der Herrscher Tahitis erstellte eine Seekarte mit mehr als 70 unbekannten Inseln, das erste schriftliche Dokument, das das ungeheure nautische Wissen polynesischer Seefahrer belegt, die auf ihren Übersee-Kanus den Pazifik schon Jahrtausende vor den Europäern befuhren. Kam er in Cooks Beschreibungen etwa nur deshalb kaum vor, weil er an Bord an Skorbut erkrankte und bald darauf starb – Cook aber als der Kapitän in die Seefahrtsgeschichte eingehen wollte, der »keinen einzigen Mann an den Scharbock verloren« hatte? Maheine ermöglichte es Cooks Expedition bei der zweiten Reise, drei Jahre durchzuhalten und Zugang zu wichtigen Kultgegenständen zu bekommen. Mai kam als Einziger bis nach London mit und erlangte dort bizarren Ruhm als »wilder Südseeprinz«.
Alle drei hatten Gründe, bei den Engländern mitzusegeln, von denen diese nichts ahnten.
Wo findet sich eine angemessene Würdigung der drei?

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