Wolfgang Schwerdt

Rotbartsaga Band 1 eine XXL-Leseprobe

07.06.2024 - 09:43 Uhr
Cover: Rotbartsaga

Piet, Wallenstein und Rabauke

„Was zum Teufel soll ich denn mit einer Katze?“, fragte Piet seinen Bruder entsetzt, während er den kleinen Rabauken ungläubig anstarrte. „Ich fahre doch gar nicht zur See und außerdem habe ich doch schon einen Hund.“ „Das ist ein Kater und die Seefahrt ist auch seine Sache nicht“, lachte Carl und der Kleine, den der Käpt’n einfach vor sich auf den Tisch gesetzt hatte, schaute aufmerksam von einem zum anderen. Rabauke hatte sofort gemerkt, dass Piet mit Katzen gar nichts anzufangen wusste, eine echte Aufgabe also, der er sich gerne stellte. Zunächst aber musste er sich wohl mit Piets Hund befassen, der den sich so brav gebenden Rabauke vom Boden aus gespannt ansah. Rabauke ignorierte den aufgeregten Kläffer, denn auch wenn er nie ein Schiffskater werden würde, von seinen Eltern hatte der Kleine in den vergangenen Monaten mehr gelernt, als diese ahnten. Daher wusste er, dass man einer Gefahr nicht dadurch begegnete, dass man blindlings in sie hineinsprang oder gar vor ihr wegrannte. Auch wenn er von dem Hund selbst offiziell keine Notiz nahm, die Gefahr, die von ihm ausgehen könnte, ignorierte der kluge Kater keineswegs. Während er also auf der Tischplatte in sicherer Position zwischen den Brüdern deren Gespräch zu folgen schien und dabei den Piet immer wieder schnurrend anzwinkerte, ließ er sich keine Bewegung, keinen Laut, ja nicht einmal den Geruch des am Boden hibbelnden Hundes entgehen.

Die Unterhaltung der Brüder plätscherte währenddessen so dahin und vor allem an Rabaukes Ohren vorbei. „Ach das mit dem Hund, das lass man Rabaukes Sache sein, der wird das schon auf seine Art klären“, erwiderte Carl lächelnd, und stellte mit Vergnügen fest, dass der kleine Kater begonnen hatte, sich ganz provokativ auf der Tischplatte zu räkeln und den Hund dabei nun erwartungsvoll anzublicken. „Na ja, Wallenstein würde ihm wahrscheinlich nichts antun wollen, nur Spielen“, gab Piet zu, „aber er ist recht stürmisch. Ob das die kleine Katze aushält? Wenn sie Angst bekommt, und wegrennt, dann kann ich für Wallenstein nicht meine Hand ins Feuer legen. Und was macht man mit so einer Handvoll Katze eigentlich, geht die an der Leine oder . . .?“

Schon längst hatte Rabauke den Piet um den Finger gewickelt. Aber dem Charme so eines Katzenkindes zu erliegen war das eine. Es auf langen Reisen überwiegend zu Lande mitzunehmen, schon etwas ganz anderes. Ein Hund war wenigstens ein nützlicher Gefährte und Begleiter. Auf Wallenstein war Verlass. Der folgte ihm, wohin er auch ging und er gehorchte aufs Wort – meistens. Aber mit einer Katze unterwegs, wie sollte das denn gehen? Rabauke wurde es langsam langweilig. Keiner der Männer geruhte, ihn zu kraulen und der Hund hatte sich inzwischen hingesetzt und offensichtlich nichts Böses vor. Und Spielen wollte der wohl auch nicht mehr. Rabauke fasste einen Entschluss. Er richtete sich auf, gähnte noch einmal ausgiebig, sprang dem verblüfften Piet auf den Schoß, von dort auf den Boden und stürmte auf den sichtlich erschrockenen Wallenstein zu. Blitzschnell schlug der kleine Kater genüsslich kreischend mit seinen Pfoten auf die Hundenase ein, ohne allerdings die Krallen einzusetzen. Sekunden später lauerte er bereits unter dem Tisch mit aufgeregt hin und her schlagendem Schwanz, um die Reaktion des Kläffers zu beobachten. Der hatte sich von seinem ersten Schreck erholt und machte nun seinerseits einen Satz auf den kleinen Tiger zu. Rabauke krähte vor Vergnügen und fegte – gejagt von Wallenstein – durch den Gastraum der Amsterdamer Hafentaverne. Für den Hund war Rabauke zwischen den Bänken und Tischen der Spelunke und den Beinen der Gäste viel zu flink. Deshalb musste Wallenstein nicht nur ständig den Tritten der aufgebrachten Gäste ausweichen, sondern auch pfeilschnelle Gegenangriffe des offensichtlich in Guerillataktik geübten halbstarken Katzentieres parieren. Käpt’n Carl konnte sich kaum noch halten vor Lachen, genau diese Spiele waren es, die den kleinen Tiger für den Borddienst nahezu untauglich machte. Auf einem überfüllten Deck während schwieriger Segelmanöver konnten sich solche unkontrollierbaren Tobereien der Bordvierbeiner als verhängnisvoll erweisen. Aber nicht nur dort. Denn die trinkfreudigen Spelunkengäste wurden angesichts ihrer umgeworfenen Krüge, deren Inhalt sich über die mehr oder weniger gepflegten Wämser und Röcke ergoss, langsam ein wenig sauer. So manchem nicht mehr ganz standfesten Seemann wurden von der wilden Jagd die Beine weggezogen, sodass er spontan Halt an einem Kollegen suchen musste. Der wiederum fühlte sich angegriffen und schlug zu. Und spätestens nachdem der völlig verzweifelte Piet versucht hatte, seinen Hund zur Ordnung zu rufen, war eine prächtige Kneipenschlägerei im Gange. Denn Piets inbrünstige Rufe „Wallenstein, komm zurück“ mussten in den Ohren der Niederländer als politische Provokation klingen, auch wenn der katholische deutsche Feldherr seit nunmehr rund 30 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilte.

„Wie oft habe ich ihm gesagt, man spielt nicht mit Hunden“, Rotbart, der mit ein paar Hafenkaterkumpels vor den Eingang der Katzenspelunke getreten war, um zu ergründen, was es mit dem Tohuwabohu gegenüber auf sich hatte, verfolgte interessiert die gegenseitige Jagd zwischen Wallenstein und Rabauke, die sich derweil auf die Straße verlagert hatte. Seine Kumpels sahen ihn grinsend an: „Von wem er das wohl hat“, brummte der betagte, aber immer noch imposante Türsteher, den Rotbart bereits vor seiner ersten großen Reise kennengelernt hatte. „Ja, von wem er das wohl hat“, murmelte Rotbart und putzte sich gedankenverloren seine einzige Vorderpfote. Er putzte sich noch ausgiebiger, als Käpt’n Carl und dessen Bruder ein wenig ramponiert die Hafenkneipe verließen und – nachdem Piet den erschöpften Wallenstein an die Leine genommen und den nun müden Kater in seine Jackentasche gesteckt hatte – jeder seiner Wege gingen. Als Piet nicht mehr zu sehen war, richtete sich Rotbart zur vollen Größe auf. „Man spielt nicht mit Hunden“, knurrte er. Und nicht ohne Stolz in der Stimme fügte er hinzu: „Es sei denn man heißt Rabauke Rotbartszoon.“


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 5/5
Handlung: 5/5

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Klappentext

Rotbartsaga

von Wolfgang Schwerdt
Cover: Rotbartsaga Es war schon eine abenteuerliche Geschichte, die mich zur Erfüllung des Vermächtnisses des Kapitäns Carl Carlszoon brachte. Da spielen Geister aus der Vergangenheit, meine Entführung in das Amsterdam des 17. Jahrhunderts und nicht zuletzt die Begegnung mit dem mysteriösen 'Traumgott der großen Katze' eine wichtige Rolle. Und immer wieder strich wie zufällig ein roter Kater durch meine phantastischen Erlebnisse, die von allzu misstrauischen Lesern zweifellos als Seemannsgarn abgetan werden könnten.
Wie dem auch sei, die Abenteuer des legendären Schiffskaters Rotbart, von denen ich nach sorgfältiger Recherche und unter Hinzuziehung lange verschollener historischer Dokumente in diesem Buch eine kleine Auswahl vorstelle, dürften dem mit der Schiffskatzenwelt bislang nicht allzu vertrauten Leser ebenfalls ein wenig wundersam erscheinen. Insbesondere, wenn es um Klabautermiezen, japanische Gespensterkatzen oder beispielsweise um Heldentaten geht, durch die die Katzen ihre zweibeinige Mannschaft vor dem sicheren Untergang bewahrt haben. Aber ich darf versichern, fast nichts davon ist erfunden, nur wenig über Gebühr ausgeschmückt und nahezu alles mit historischen Dokumenten belegt.
Reihe
4.8 34

Rotbartsaga


Dieses Buch gehört zu der Reihe »Rotbartsaga« und umfasst derzeit etwa vier Bände.

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