Wolfgang Schwerdt

Das Prachtboot

07.06.2024 - 08:43 Uhr
Cover: Das Prachtboot

Was für ein Prachtstück, das große Auslegerboot von der Luf-Insel, die 1899 bis 1914 zur deutschen Kolonie Deutsch-Neuguinea „gehörte“. Heute stellt das rund 15 Meter lange Schiff den spektakulären Mittelpunkt des Humboldt-Forums dar, das unter anderem die Sammlungen des ehemaligen ethnologischen Museums Dahlem beherbergt. Die Umbenennung und „neue Ausrichtung“ ethnologischer Sammlungen, also der Aneignung von Kulturgütern außereuropäischer Gesellschaften im Rahmen des Kolonialismus ändert aber nichts am Charakter der Sammlungen und der jeweiligen Art der Aneignung. Am Beispiel des Prachtbootes von Luf beleuchtet Götz Aly nicht nur die Herkunft und Beschaffung des zentralen Ausstellungsstückes, sondern auch exemplarisch die Problematik der „Rückgabediskussion“, wie sie in Zusammenhang mit der heutigen Provenienzforschung augenscheinlich wird.

Dokumentiert mit deutscher Gründlichkeit

Neben dem Genozid an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“ gehören auch die „Strafexpeditionen“ der deutschen Kolonialmacht auf den Inseln „Deutsch-Neuguineas“ zu den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte. Finster sind diese Kapitel allerdings vor allem hinsichtlich der moralischen Bewertung. In Bezug auf die Protagonisten, die Methoden und Ideologien und nicht zuletzt die konkreten Absichten, Handlungen und Abläufe, liegen dem ernsthaft Interessierten die historischen Quellen offen zutage. Denn die Händler, Politiker, Militärs und Wissenschaftler scheuten sich nicht, ihre Aktivitäten und Auffassungen akribisch zu dokumentieren, wenn auch mit dem einen oder anderen Versuch, selbst unter damaligen Wertvorstellungen kriminelle und moralisch fragwürdige Taten, sprachlich ein wenig zu beschönigen.

Geraubt und gewinnbringend verscherbelt

Und so ist eben kein Geheimnis, dass beispielsweise die Wissenschaftler der Deutschen Südseeexpedition versuchten, so viel Ethnografika wie möglich zusammenzusammeln, da im Rahmen der Kolonialisierung und der Dezimierung der indigenen Bevölkerung durch „Strafexpeditionen“ und „Nutzung als Arbeitskräfte“ auf den Plantagen der Weißen, deren Kulturen „ohnehin binnen kurzer Zeit verschwinden würden, bzw. schon im Verschwinden begriffen seien“. Und so wurden aus den skrupellosen Raubzügen und Ausrottungskampagnen der Kolonialisten und ihren Hehlergeschäften mit den großen Museen in Hamburg, Berlin oder Stuttgart eine „Rettungsaktion“ zum Erhalt der Kulturgüter der ja vom Aussterben bedrohten indigenen Gesellschaften. Die Museen bleiben übrigens trotz (oder sogar wegen) ihrer Umbenennung dieser Ideologie der Rettung des kulturellen Welterbes treu, was, wie Götz Aly am Beispiel des Humboldt-Forums nachvollziehbar macht.

Kontinuität des Kulturchauvinismus

Verwunderlich ist das kaum. Denn Aly zeigt nicht nur eine in gewisser Hinsicht mentale, sondern auch eine weit über die Kolonialzeit hinausgehende personelle Kontinuität auf, die eine Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit bis heute erschwert und zudem hinsichtlich der Provenienz- und Rückgabefrage einen gewisse „Betriebsblindheit“ nach sich zieht. Und so verhandeln Kuratoren, Museumsleiter, Politiker und viele andere mehr das Thema Provenienz bereits seit Jahren auf hochkarätigen Kongressen, im Rahmen von Forschungsprojekten und mit Vertretern aus Herkunftsländern, ohne über ein paar Bronzeskulpturen hinaus zugreifbaren Ergebnissen zu kommen. Im Mittelpunkt immer wieder die Fragen, ob es sich bei den jeweiligen Gegenständen (und eben auch dem spektakulären Luf-Boot) tatsächlich um „Raubkunst“ handelt oder ob diese Gegenstände von den Indigenen legal erworben wurden und damit auch rechtmäßig in den Besitz des jeweiligen Museums gelangt sind.

Scheindiskussionen und Verschleierungsrethorik

Diese Frage ist in sehr vielen Fällen anhand der vorliegenden Expeditions- und Händlerdokumenten recht einfach zu beantworten, wenn man dies will und beispielsweise bei dem Absammeln von Kulturgegenständen damals frisch ausgerotteter Inselbevölkerungen heute nicht nach dem/der individuellen Ex-BesitzerIn sucht, um „Rückgabeverhandlungen“ aufzunehmen. Viele Fragestellungen wie „sind die Sachen nicht in europäischen Museen besser aufgehoben“ oder „wem sollen wir denn die Exponate zurückgeben, wenn die jeweilige Kultur gar nicht mehr existiert“, sind im Einzelfall nicht nur zynisch, sondern provozieren nach Darstellung Götz Alys letztendlich Scheindiskussionen, die vor allem dazu dienen, die Bestände der ethnologischen Museen (und damit ihre Existenzberechtigung) sicherzustellen.

Götz Aly: Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten. S. Fischer, 2. Aufl. 2021. Gebunden mit Schutzumschlag 235 Seiten.


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 4/5
Handlung: 5/5
Blogger: Wolfgang Schwerdt

Wolfgang Schwerdt

Blogger bei LeseHits

Bücher zu Kulturgeschichte, Seefahrt, Mensch-Tier-Studien und me(h)er.

Kommentare

Mache den Anfang und verfasse den ersten Kommentar...
Klappentext

Das Prachtboot

Sachbuch von Götz Aly
Cover: Das Prachtboot

Der Spiegel-Bestseller erstmals als Taschenbuch – mit einem neuen Vorwort von Götz Aly

Neben Denkmälern und Straßennamen zeugen zauberhafte Museumsobjekte von den einstigen Kolonien – doch wie sind sie zu uns gekommen und woher stammen sie? Götz Aly deckt auf, dass es sich in den allermeisten Fällen um koloniale Raubkunst handelt, und erzählt, wie brutal deutsche Händler, Abenteurer und Ethnologen in der Südsee auf Raubzug gingen. So auch auf der Insel Luf: Dort zerstörten sie Hütten und Boote und rotteten die Bewohner fast vollständig aus. 1902 rissen Hamburger Kaufleute das letzte, von den Überlebenden kunstvoll geschaffene, hochseetüchtige Auslegerboot an sich. Heute ziert das weltweit einmalige Prachtstück das Entree des Berliner Humboldt Forums. 
Götz Aly dokumentiert die Gewalt, Zerstörungswut und Gier, mit der deutsche »Strafexpeditionen« über die kulturellen Schätze herfielen. Das Publikum sollte und soll sie bestaunen – aber bis heute möglichst wenig vom Leid der ausgeraubten Völker erfahren. Ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Raubkunst, Kolonialismus und Rassismus und zugleich ein erschütterndes Stück deutscher Geschichte.

»Was für ein Buch! Was für Erkenntnisse!« Bénédicte Savoy

Diesen Blogartikel teilen: