Wolfgang Schwerdt

Into the deep

05.06.2024 - 16:01 Uhr
Cover: Into the deep

Wenn vom Klimawandel die Rede ist, dann stehen üblicherweise die CO2-Emissionen durch fossile Brennstoffe bei der Energiegewinnung im Mittelpunkt der öffentlichen und politischen Diskussion. Und so werden unter dem Stichwort Innovation technologische Lösungen gesucht, um die Emissionen zu verringern, das CO2 aus der Luft zu filtern und irgendwo im Erdreich zu binden oder in großem Maßstab erneuerbare Energien zu produzieren. Prognosen zufolge wird der Energiebedarf zukünftig immer weiter steigen, vorgeblich vor allem wegen des globalen Bevölkerungswachstums. Keine Frage, technische Lösungen zur CO2-Neutralität oder besser noch zur CO2-Vermeidung sind zwingend notwendig. Doch die Tatsache, dass die Ursachen des Klimawandels nicht eindimensional und die CO2-Emissionen eher ein folgenschweres Symptom des grundsätzlichen Raubbaus an unseren Lebensgrundlagen darstellen, wird selten thematisiert. Der Ausstellungskatalog „Into the deep“ bildet wie die gleichnamige Präsentation im Zeppelinmuseum Friedrichshafen diesbezüglich eine rühmliche Ausnahme.

Der grenzenlose Rohstoffhunger

Into the deep beschäftigt sich also mit den Folgen des offensichtlich unstillbaren Bedürfnisses unseres wachstumsorientierten Wirtschaftssystems nach Rohstoffen. Dem fallen nicht nur die Regenwälder, das Grundwasser, riesige Ökosysteme oder Kulturen, Gesellschaften und Spezies unserer bekannten Welt zum Opfer. Die Ausbeutung unseres Planeten hat sich längst auf Regionen ausgedehnt, deren Ökosysteme und ihre Bedeutung für unser Überleben noch nicht einmal ansatzweise bekannt sind. Und während die Produktion der ständig wachsenden Mengen an kurzlebigen Konsumgütern, Plastikmüll und Umweltgiften mit langfristig CO2-neutraler Energie ihren Teil zur Verschmutzung der Meere und Böden den materiellen Wohlstand eines Teils der Weltbevölkerung erhöht, wird bereits die hemmungslose Ausbeutung der Rohstoffquellen in der Tiefsee und auf den umliegenden Himmelskörpern projektiert.

Die Idee der Kreislaufwirtschaft

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Hand: Aluminium, das die Industriegeschichte der Stadt mit der Zeppelingeschichte geprägt hat. Dieses leichte Metall, das in großen Mengen u.a. in Form der Metallskelette von Flugobjekten aber auch unzähligen Wegwerf-Konsumartikeln verwendet wird, verursacht beim Abbau seines Rohstoffes Bauxit erhebliche Umweltzerstörungen. Als besonders wertvolles Material wurde es im 20. Jahrhundert regelmäßig wiederverwendet und dieser Recycling-Gedanke stellt auch einen Ansatzpunkt für den Ansatz der Kreislaufwirtschaft dar, den die Ausstellungsmacher so konsequent wie nur irgend möglich bei Aufbau und Gestaltung der Ausstellung angewendet haben. Diesem Aspekt ist neben der Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Aluminium ein umfassendes Kapitel gewidmet.

Wissenskultur – versus Wachstumsideologie

Ergänzt wird der auf die Sammlungsgeschichte des Museums bezogene Teil durch Arbeiten und Installationen von fünf zeitgenössischen KünstlerInnen, die sich mit ihren Installationen sehr anschaulich und informativ mit den ökologischen, sozialen und politischen Problemen befassen, die sich aus den „Minen der Zukunft“ in der Tiefsee (Deep Sea Mining) und im All (Deep Space Mining) ergeben. Vorgestellt und erläutert werden diese Installationen in Form von recht umfangreichen Interviews, in denen die KünstlerInnen nicht nur Konzept und Intention ihrer Werke preisgeben, sondern die LeserInnen auch mit harten Daten und Fakten und Hintergrundinformationen zu den jeweils aufgegriffenen Themen versorgen. Kreativ-/Aktionsseiten für die LeserInnen runden den ungewöhnlichen, vielschichtigen und nicht nur hinsichtlich seiner materiellen Produktion nachhaltigen Ausstellungkatalog ab.

Claudia Emmert / Jürgen Bleibler / Ina Neddermeyer / Zeppelin Museum Friedrichshafen (Hrsg.): Minen der Zukunft / Mines of the future. Deutsch & englisch. Neofelis 2023. Softcover, mit zahlreichen Abbildungen und reich illustrierten Kreativseiten, 184 Seiten.


Gesamtbewertung: 4/5
Cover: 4/5
Handlung: 4/5

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Into the deep

von Ignacio Acosta
Cover: Into the deep

Der Abbau von Rohstoffen entwickelt sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker zu einem ökologischen, ökonomischen, politischen und sozialen Problem mit globalen Auswirkungen. Extensive Abbaupraktiken und die Ausbeutung von Öko- und Sozialsystemen stellen eine der größten Umweltbelastungen unserer Zeit dar. Ihre Folgen sind vielerorts dramatisch, dennoch wird der Kampf um Ressourcen unvermindert fortgeführt. Da die Ressourcen auf der Erde endlich sind, wird nach immer neuen, teils surreal anmutenden Standorten gesucht, so wie beim Deep Sea Mining und Deep Space Mining.

Into the deep wirft einen kritischen Blick auf die Geschichte und Gegenwart der Extraktion von Rohstoffen, die untrennbar mit Umweltzerstörung und Kolonialismus verbunden ist. Die vielschichtigen Zusammenhänge des Rohstoffabbaus in der Tiefsee und im Weltall werden beleuchtet, ebenso wie Formen von Widerstand und Aktivismus gegen die Ausbeutung von Menschen und Umwelt. In Anlehnung an die Industriegeschichte Friedrichshafens gerät zudem der Rohstoff Aluminium in den Fokus, das Metall des Fliegens, das bei seiner energieaufwändigen Gewinnung aus dem Gestein Bauxit neben Umweltschäden auch das giftige Abfallprodukt Rotschlamm verursacht.

Das Buch hat den Anspruch, klimaneutral zu sein. Dies wird durch die Verwendung von Recyclingpapier mit dem Umweltzeichen Blauer Engel, die offene Fadenheftung ohne umweltschädliche Klebebindungen sowie den Einsatz von mineralöl-, soja- und gefahrstofffreien (Bio-)Druckfarben auf Pflanzenölbasis umgesetzt. Unvermeidbare CO2-Emissionen werden durch ein zertifiziertes Waldschutzprojekt im Harz als letztmöglicher Schritt aller Umweltmaßnahmen kompensiert. Zugleich inspiriert das Buch zu umweltbewusstem Handeln: DIY-Anleitungen zum Bau von Insektenhotels aus Aluminiumdosen oder Repair Hacks machen das Thema Recycling ganz unmittelbar erfahrbar.

Mit Beiträgen von Ignacio Acosta, Agnes Bidmon, Jürgen Bleibler, Bureau d’études (Léonore Bonaccini & Xavier Fourt), Michael David, El Laboratorio de Artes Gráficas del Desierto de Atacama (LAGDA), Claudia Emmert, Charlotte Ickler, Armin Linke, Ina Neddermeyer, Kristina Õllek, Bethany Rigby, Frauke Stengel und Caroline Wind.


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In recent decades, the extraction of raw materials has increasingly developed into an ecological, economic, political, and social problem of global proportions. Large-scale mining operations and the exploitation of ecological and social systems are one of the most serious threats facing the environment today. In many places, the effects are catastrophic and yet the fight over resources continues unabated. Since the resources on Earth are finite, there is a constant search for new mining sites that sometimes seem surreal, such as with deep-sea mining and deep-space mining.

Into the deep takes a critical look at the history and present of the extraction of resources, which are inextricably linked to environmental destruction and colonialism. The many-layered complexities of mining for raw materials in the deep sea and in space are examined, as well as forms of resistance and activism against the exploitation of people and the environment. Drawing on Friedrichshafen’s history of industrialism, the exhibition also focuses on the raw material aluminium, the metal of flight, which requires large amounts of energy to be extracted from the rock bauxite and not only causes environmental damage, but also produces the toxic waste product red mud.

This book aims to be climate-neutral. This has been accomplished by using recycled paper with the “Blauer Engel” environmental certification, open-thread stitching without environmentally harmful adhesive bindings, and (organic) printing ink that is free of mineral oil, soy, and hazardous substances. Unavoidable CO2 emissions have been compensated through a certified forest protection project in the Harz Mountains as the last possible option in climate-protection measures. The book also inspires readers to be more environmentally conscious in their actions: DIY instructions for building insect hotels out of aluminium cans or repair hacks provide ways for people to practice recycling directly themselves.

With contributions by Ignacio Acosta, Agnes Bidmon, Jürgen Bleibler, Bureau d’études (Léonore Bonaccini & Xavier Fourt), Michael David, El Laboratorio de Artes Gráficas del Desierto de Atacama (LAGDA), Claudia Emmert, Charlotte Ickler, Armin Linke, Ina Neddermeyer, Kristina Õllek, Bethany Rigby, Frauke Stengel, and Caroline Wind.

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