Die Haifischinsel
Karg und unwirtlich ist sie, die Halbinsel in der Lüderitzbucht im Süden Namibias. Im Norden der Haifischinsel findet sich heute ein Campingplatz. 1905 richtete die „Schutztruppe“ der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika dort ein Konzentrationslager ein, in dem die Überlebenden des von Reichskanzler von Bülow gestoppten Vernichtungsfeldzugs General von Trothas gegen die Nama und Herero interniert wurden. Die Direktorin des Landesmuseums Hannover, Katja Lembke, ist zusammen mit Wolfgang Rabbel von der Uni Kiel den Spuren dieses Konzentrationslagers mit Methoden der historischen Archäologie auf den Grund gegangen und hat mit dem Buch Die Haifischinsel eine denkwürdige, beeindruckende und beklemmende Dokumentation des weitgehend „in Vergessenheit geratenen“ Wirkens des deutschen Kolonialismus vorgelegt.
Geschichte der Konzentrationslager
Angesichts der Tatsache, dass der Begriff Konzentrationslager in Deutschland vor allem mit der Verfolgung von Juden, Kommunisten, Homosexuellen, Sinti und Roma oder Oppositionellen im Nationalsozialismus verbunden wird, stellt das Kapitel Wie alles begann, einen wichtigen Einstieg in das Buch dar. Denn der Begriff taucht bereits um 1900 auf und dem spanischen General Valeriano Weyler y Nicolau wird der zweifelhafte „Ruhm“ zuteil, 1896 als Generalkapitän Kubas „Vater der Konzentrationslager“ zu sein. Auch die USA und die Briten bedienten sich der konzentrierten Internierung der Bevölkerung in Lagern, um ihre Rolle als Kolonialherren gegen die Aufständischen zu sichern. Dass die Einrichtung von Konzentrationslagern „um 1900 zum Standard kolonialer Unterdrückungspolitik gehörte“, wird nach dem Motto „die anderen haben ja auch“ gerne zur Relativierung der NS-Verbrechen, aber auch der deutschen Methoden kolonialer Herrschaftssicherung in Afrika herangezogen.
Der deutsche Kolonialismus
Keine Frage, der Kolonialismus selbst stellt bereits ein Verbrechen gegen die Menschenrechte dar und jede kolonisierende Nation hat dabei ihre eigene Geschichte und Ausprägung, so auch die Deutsche mit ihrem durch von Trotha begonnenen Völkermord an den Nama und Herero und in seiner Folge eben der Einrichtung jenes ersten deutschen Konzentrationslagers auf der Haifischinsel. Diese Geschichte beschreibt Katja Lembke im Kapitel Missionare, Siedler und Soldaten, um unter der Überschrift Sicherheit für Leben und Eigentum Entstehung und Charakter der Konzentrationslager Deutsch Südwestafrikas darzustellen. Denn auch wenn in den Lagern viele Einheimische den Lebensbedingungen und der Zwangsarbeit zum Opfer fielen, gezielte Vernichtungslager wie die NS-KZs waren es nicht. Nicht einmal das berüchtigte Lager auf der Haifischinsel, dem mit Von „Star Island“ zu „Shark Island“ jenes Kapitel gewidmet ist, das die Ergebnisse der oben beschriebenen archäologischen Untersuchung und historischen Spurensuche präsentiert.
Kein Auschwitz, aber ein Schritt dorthin
Auch wenn das Konzentrationslager auf der Haufischinsel keine Einrichtung zur Fortsetzung des von General von Trotha begonnenen Genozids darstellte, u.a. die Tatsache, dass bis zur Aufgabe des Lagers und Verlegung der 573 Überlebenden Schätzungen zufolge zwischen 1905 und 1907 bis zu 3000 Herero und Nama Krankheiten, Zwangsarbeit und Mangelernährung zum Opfer gefallen waren, zeigt, wie es die Autorin in einem TAZ-Interview formulierte: „Die Haifischinsel war nicht Auschwitz, aber sie war ein Schritt auf dem Weg dorthin.“
Tatsächlich sprechen die zeitgenössischen Abbildungen der kolonialen „Herrenmenschen“, posierend inmitten ihrer „Schützlinge“ auf Fotos und Postkarten, oder die Bilder abgeschnittener Köpfe toter Kriegsgefangener, die nach Berlin geschickt wurden, um dort zu Zwecken der „Rassenkunde“ dokumentiert zu werden eine erschreckende Sprache. Teilweise durchaus harter Tobak, mit dem die Autoren ihre Leser konfrontiert, doch angesichts des willfährigen „Vergessens“ deutscher Kolonialgeschichte (und übrigens auch der Rolle ihrer ökonomischen Protagonisten) wohl zwingend notwendig. Apropos vergessen: Vergessen wurden auch auf der Haifischinsel selbst vor allem die indigenen Opfer. Stattdessen gibt es dort ein Monument des Kolonisators, des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz und in Windhoek, der Hauptstadt Namibias erinnerte seit 1912 bis zu seiner Demontage Ende 2013 ein Reiterstandbild an die den Herero- und Namaaufständen „zum Opfer gefallenen“ deutschen Soldaten und Bürger. Erst ab 2011 wurde auf der Insel ein Gedenkstein für Kaptein Cornelius Fredericks, einem Kriegshelden der Nama, und seine Angehörigen errichtet und seit 2019 ist das Gebiet zum nationalen Gedenkort erklärt worden.
Katja Lembke: Die Haifischinsel. Das erste deutsche Konzentrationslager. Nünnerich-Asmus 2023. Hardcover, 96 Seiten.
Wolfgang Schwerdt
Blogger bei LeseHitsBücher zu Kulturgeschichte, Seefahrt, Mensch-Tier-Studien und me(h)er.
Kommentare
Die Haifischinsel
Das Konzentrationslager auf der Haifischinsel vor Lüderitz in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika existierte von 1905 bis 1907, doch seither ist es in Vergessenheit geraten. Tausende Einheimische starben im heutigen Namibia unter lebensfeindlichen Bedingungen. In Lüderitz gibt es weder eine Gedenkstätte noch einen Hinweis auf das Lager, abgesehen von einem Denkmal für den Nama-Kapitän Cornelius Fredericks, der hier 1907 mit zahlreichen Mitgliedern seiner Familie starb. Heute befindet sich auf dem Gelände ein Campingplatz. Auch in Deutschland sind die Konzentrationslager während der Kolonialzeit nur wenigen bekannt, und kaum jemand weiß, welche Bedingungen hier herrschten.
Ein Kooperationsprojekt des Landesmuseums Hannover und des Instituts für Geowissenschaften der Universität Kiel hatte zum Ziel, an dieses „traurige Fiasko" zu erinnern. Neben der Sammlung von Fotos und anderem Archivmaterial wurde das Gelände mit archäologischen Prospektionsmethoden vermessen. Es ist das erste Mal, dass diese Techniken in einem namibischen Konzentrationslager angewandt wurden. Mit ihrer Hilfe kann eine detaillierte Karte des Lagers erstellt werden, die die schriftlichen Quellen bestätigt und ergänzt. Dieses Buch spürt der Kolonialzeit nach und gibt mit reichem Bildmaterial einen umfassenden Einblick in die deutsche Afrikapolitik zu Beginn des 20. Jahrhunderts.