Koloniale Tiere?

Wer kennt sie nicht, die Big Five, die unsere Vorstellung von der spektakulĂ€ren Tierwelt Afrikas prĂ€gen. Es sind vor allem Elefant, Nashorn, KaffernbĂŒffel, Löwe und Leopard, die uns in den Hochglanzprospekten der Reiseveranstalter oder neben anderen Spezies in Dokumentarfilmen ĂŒber den âschwarzenâ Kontinent begegnen. Die Big Five sind aber weitaus mehr als lediglich groĂe Tiere Afrikas, ihre Bilder reproduzieren in unseren Köpfen noch immer unbewusst ein unmenschliches Weltbild aus kolonialen Zeiten.
Tierbilder als Visualisierung kolonialer HerrschaftsansprĂŒche
Die AutorInnen des Buches, das aus einer Tagung am Naturhistorischen Museums Bern hervorgegangen ist, beschreiben die WirkmĂ€chtigkeit der Bilder einer im kolonialen Kontext inszenierten afrikanischen Tierwelt, die in Zoos, in Tierfilmen und nicht zuletzt in den reichhaltigen BestĂ€nden naturhistorischer Museen produziert, bis in jĂŒngste Zeit reproduziert wurden und noch heute im Rahmen von Jagdsafaris ihre Fortsetzung finden. Dabei geht es in den Bildern weniger um die Tiere selbst als vielmehr um die Visualisierung der kolonialen HerrschaftsansprĂŒche und den daraus resultierenden Ideologien.
Die Inszenierung der afrikanischen Wildnis
NatĂŒrlich gehören zu den Inszenierungen kolonialer Ăberlegenheitsfantasien auch die Völkerschauen oder die exotisch anmutenden Raubtier-, Elefanten- oder GiraffenhĂ€user in den europĂ€ischen TiergĂ€rten. Hier werden die Bewohner Afrikas als âNaturvölkerâ buchstĂ€blich und im ĂŒbertragenen Sinne in die NĂ€he der wilden Tiere gerĂŒckt, der Kontinent als wild, ursprĂŒnglich und unzivilisiert dargestellt. In gleicher Weise reproduzierten die Natur- und Völkerkundemuseen mit ihren exotischen TierprĂ€paraten (und Ethnografika), aber auch die Tiere auf den Werbeplakaten oder in der Kunst die koloniale Weltsicht. Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst bewegten sich bei der Nutzung und Darstellung der Tiere aus und in den Kolonialgebieten aktiv und passiv geradezu zwangslĂ€ufig im kolonialen Kontext, vor allem im Kultur- und Wissenschaftsbereich im Einzelfall auch ungeachtet der eigentlichen Intentionen der jeweiligen Akteure.
King Kongs missbrauchte Verwandte
Im Kapitel 1 âBildende Kunstâ thematisieren die AutorInnen u.a. die Arbeit des Bildhauers August Gaul (1869 â 1921), ein KĂŒnstler der Sezession, der die Vorbilder fĂŒr seine Arbeiten im Berliner Tierpark beobachtet. Der Tierbildhauer, GroĂwildjĂ€ger und bekennender Rassist, Fritz Behn (1878 â 1970), fand die âModelleâ fĂŒr seine Skulpturen in selbsterlegten Tieren in den deutschen Kolonien. Auch wenn nicht zu den Big Five gehörig, spielt auch der Gorilla bei der Entwicklung des kolonialen Weltbilds von âRasse, Geschlecht und animalischer Gewaltâ eine groĂe Rolle, die sich in den âVor- und Nachbildern King Kongsâ niederschlagen. Angeeignet wurde im Rahmen kolonialer Ausbeutung nicht nur die biologische Tierwelt, sondern auch die kĂŒnstlerische der Indigenen. Darunter auch die sogenannten Benin-Bronzen mit ihren Tierdarstellungen. Dabei, so zeigt die Autorin des Aufsatzes âLeuparden am Kettenâ?, handelt es sich nicht nur um Kunstraub, sondern um Kulturraub, denn die Skulpturen aus verschiedenen Materialien beinhalten eben auch die historischen afrikanischen Perspektiven auf die Wildtiere, die die Autorin in ihrem Beitrag rekonstruiert.
Dokumentation des âNatĂŒrlichenâ
Mit den beiden folgenden Kapiteln âVisuelle Kulturâ und âWissenschaftliche Sammlungenâ widmen sich die AutorInnen den unterschiedlichen Aspekten der kolonialen GroĂwildjagt. Besonders beeindruckend fĂŒr mich: Die Entwicklung des Natur-Dokumentarfilms. Im Aufsatz âKrankschieĂenâ steht der Deutsche Fotopionier und GroĂwildjĂ€ger Carl Georg Schillings (1865 â 1921) Mittelpunkt. Immerhin wurden Teile der kolonialen Sammlung des âTierschĂŒtzersâ und Pioniers der Jagdfotografie, bestehend aus Fotos und TierprĂ€paraten wurden noch 2022/23 im Museum DĂŒren ausgestellt. Sein 1905 erschienenes Buch âMit Blitzlicht und BĂŒchseâ scheint zunĂ€chst auf die vermeintliche Abkehr vom hemmungslosen Töten zur Dokumentation des natĂŒrlichen Verhaltens von Wildtieren und ihrer Umwelt hin. Doch die nĂ€here Betrachtung des Zustandekommens seiner Bilder sprechen eine andere, eben eine kolonial-herrschaftliche Sprache. Denn die vermeintlich natĂŒrlichen Bilder, konnten nur gelingen, indem die Tiere zunĂ€chst âkrankgeschossenâ und nach den entsprechend inszenierten Fotos getötet wurden.
Unbedingt empfehlenswert
Die LektĂŒre dieses Buches kann ich nur wĂ€rmstens empfehlen. Denn es beschreibt in einem aufregenden Spektrum sowohl die Entstehung, die HintergrĂŒnde, den Rahmen, die Wirkung und die Nachwirkungen kolonialer Tierbilder und Imaginationen. Aspekte, die auch im heutigen Arten- und Naturschutz (vom Tourismus gar nicht zu reden) noch immer und oft unreflektiert eine Rolle spielen.