Kolonialismus in den Dingen
Mit der vom 08.11.2024 bis 18.05.2025 laufenden Ausstellung „Kolonialismus in den Dingen“ präsentiert nun auch das Münchener „Museum Fünf Kontinente“ die Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit. Dabei widmet es sich unter anderem der Frage: „Wann ist ein Kunstwerk kolonial?“ Doch bereits diese Frage beinhaltet eine unerwartet große Zahl weiterer Fragen, die in den Aufsätzen des Begleitbandes zur Ausstellung unter verschiedenen Aspekten behandelt werden.
Dass ethnologische Museen eng mit dem europäischen Kolonialismus verbunden sind, und um 1900 als „Völkerkundemuseen“ zu kolonialen Institutionen wurden, ist inzwischen bekannt. Dass die ethnologischen Sammlungen weitgehend im kolonialen Kontext „erworben“, also im Rahmen ungleicher Machtverhältnisse zusammengeraubt, gekauft oder „getauscht“ wurden, hat sich inzwischen auch in der nicht fachlichen Öffentlichkeit herumgesprochen. Und auch die Diskussion um die Rückgabe kolonialer Beutekunst ist seit einigen Jahren in vollem Gange. Die inhaltliche Aufarbeitung, der Bewertung ethnologischer Artefakte zugrundeliegenden Maßstäbe und damit auch der Frage „wann ein Kunstwerk kolonial ist“, steckt aber noch in den Anfängen und stellt einen der Hauptaspekte des vorliegenden Ausstellungsbandes dar.
Im Dienste der europäischen Globalisierung
Doch zunächst stellen die AutorInnen den historischen Rahmen vor. Das beginnt mit einem Abriss der in den europäischen Kolonialismus eingebundenen Kolonialgeschichte Bayerns und des Museums Fünf Kontinente. Die beginnt weit vor der Phase der deutschen Kolonialherrschaft. Denn deutsche Kaufleute, Abenteurer und Wissenschaftler haben sich nicht unmaßgeblich an den kolonialen Aktivitäten der anderen europäischen Mächte, allen voran der Briten, beteiligt, bevor das Deutsche Reich selbst zur Kolonialmacht wurde. Und so entstanden auch hierzulande umfangreiche private und universitäre ethnografische Sammlungen, die zum Grundstein der großen kolonialen Museen z.B. in München, Berlin oder Hamburg wurden.
Kulturraub
In diesem Zusammenhang beleuchten die folgenden Aufsätze die verschiedenen Formen der Aneignung von Kulturgütern, die vom vermeintlichen „Tauschhandel auf Augenhöhe“ über den Einkauf touristischer Mitbringsel oder die „wissenschaftliche Dokumentation“ von „zum Aussterben verdammter Kulturen“ bis zum unverhohlenen Raub und Beutemachen beispielsweise bei den diversen europäischen Strafexpeditionen in der Südsee, in China oder in Afrika reicht. Doch die „Entnahme“ von Kulturgegenständen aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und das Überführen in eine europäische Sammlung verändert nicht nur ihren Standort, sondern auch ihre Bedeutung. Die Maske, die Skulptur, das Gewand oder auch die Waffe, die über ihren Nutzwert hinaus in der jeweiligen Gemeinschaft immer auch eine soziale, identitätsstiftende Rolle innehatte, wird zum nach europäischen Kriterien meist als „primitiv“ bewerteten „Kunstgegenstand“, zum Präsentationsobjekt, zur Trophäe, zur Ware, die Sammlung zur kolonialen Leistungsschau. Damit ist sie der Definition der Ursprungskultur entzogen und wird zum Repräsentanten europäischer rassistischer Herrschaftsideologien (und natürlich -praxis).
Kolonialismus in den Dingen
Deutlich wird letzteres bei der abschließenden Betrachtung einzelner Gegenstände wie die Verzierung eines Kanus aus Papua-Neuguinea, eine Leopardenskulptur aus Benin, eine jener berühmt-berüchtigten Benin-Bronzen, ein vermeintliches Boxer-Schwert, das ein bayerischer Offizier als Trophäe ins Museum Fünf Kontinente brachte und ein Rindenbaststoff aus Samoa. Natürlich werden auch die Probleme und Möglichkeiten der Provenienzforschung und Rückgabe des kolonialen Raubgutes diskutiert. Ein gerade aufgrund unserer kolonialen Geschichte, die in unserem Denken und Handeln, unseren Vorstellungen, wirtschaftlichen Interessen und ideologischen Konzepten gesellschaftlich noch immer sehr präsent ist, nur schwer zu bewältigendes Thema.
Weiße Flecken indigener Kultur
Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das ausführliche Gespräch mit Albert Guaffo, Professor für Germanistik an der Universität Dschang (Kamerun). Gouaffo führte das deutsch-kamerunische Forschungsprojekt „Umgekehrte Sammlungsgeschichte“ durch, aus dem 2023 der vielbeachtete „Atlas der Abwesenheit“ hervorging. Mit folgender stark gekürzten Aussage Gouaffos zu den ethnologischen Museen möchte ich diese Buchvorstellung abschließen: „Eigentlich sind ethnologische Museen für uns Friedhöfe. Sie halten die Ahnen […] in Gefangenschaft. […] Sie versuchen, die Ahnen in einen Diskurs der europäischen Überlegenheit, wie er noch aus der Kolonialzeit weiterlebt, zu inkorporieren – ja, zu vereinnahmen.“
Wolfgang Schwerdt
Blogger bei LeseHitsBücher zu Kulturgeschichte, Seefahrt, Mensch-Tier-Studien und me(h)er.