Wolfgang Schwerdt

Selfie mit dem Sonnenkönig

29.06.2024 - 15:40 Uhr
Cover: Selfie mit dem Sonnenkönig

Man mag ja zu dem, was sich der digitalen Welt heute so als Influencer präsentiert, ein durchaus gespaltenes Verhältnis haben Und so ging es mir auch mit dem Titel des Geschichtsbuches, das vom Selbstbild und der Selbstvermarktung historischer Persönlichkeiten handelt. Auch wenn ich nicht mit der Schlussfolgerung der Autorin und „Geschichtsinfluencerin“, Samra Kljajic übereinstimme, dass „… ‚Der Mensch‘ schon immer das ‚Bedürfnis‘ hatte, sich zu inszenieren“, das Buch ist zweifellos gelungen, und auch geeignet, möglicherweise die/den eine/n „Digital Native“ an Geschichte und möglicherweise sogar an Bücher heranzuführen. Denn der Inhalt besteht zwar aus recht spektakulären Geschichten über historische Royals, Wirtschafts- und Politpromis, Unterhaltungskünstler & Co, ist aber seriös und fundiert aufgearbeitet.

Über den Zwang, schön, klug und mächtig zu sein

Erfreulicherweise belässt es die Autorin nicht beim oberflächlichen Influencerverständnis, sondern stellt die technischen und sozialen Hintergründe und Möglichkeiten der Einflussnahme von Persönlichkeiten auf ihr Umfeld und breitere Schichten der Bevölkerung in den Mittelpunkt ihres Kapitels „Die Geburt des Selfies“. Auch dieser Begriff dient vor allem dem Erregen von Aufmerksamkeit für das Thema, ebenso wie die „Fakenews“, alles reizende Schüsselbegriffe, die eher zielgruppenrelevant, denn inhaltlich bedeutsam sind. Tatsächlich geht es um Meinungsmanipulation, verbreiten von Botschaften, politische Strategien und natürlich Macht. Denn die historischen Protagonisten waren ja nicht gerade „Hinz und Kunz“, die sich mal unbedingt in den Mittelpunkt stellen und öffentliche Aufmerksamkeit erregen wollten, sondern politische „Führungskräfte“, Eliten also in hierarchisch organisierten Gesellschaften. Nur sie hatten die Möglichkeiten, aber auch die Notwendigkeit, sich als stark (meinetwegen auch schön), handlungsfähig und beispielgebend zu präsentieren. Und auch wenn sich dies in der Peripherie der Herrschenden gelegentlich anders ausdrückte, bei der elitären Selbstdarstellung ging es nicht um Produktwerbung, sondern um knallharte Machtpolitik.

Der letzte Ritter und inzestöse Machtsicherung

Tatsächlich hatte die Selbstdarstellung Herrschender in der Regel eine staatstragende und machterhaltende Funktion und so ist es kein Wunder, dass sowohl Kleidung als auch Rituale, Bilder und Selbstbeschreibungen sorgfältig arrangiert und manipuliert waren. Und genau das ist letztendlich auch Gegenstand des Buchinhaltes. Mit der bemerkenswerten Öffentlichkeitsarbeit der inzestgeschädigten Habsburgerdynastie eröffnet die Autorin den Reigen der Mächtigen Europas. Kein Wunder, denn Kaiser Maximilian I. lebte in einer Zeit, die nicht nur vom Beginn der europäischen globalen Expansion, sondern auch von spektakulären Entwicklungen in Kunst, Kultur und Medien. Und so konnte sich Maximilian der breiten Öffentlichkeit in Wort, Bild und nicht zuletzt auch großartig inszenierten Veranstaltungen unter anderem als „letzter Ritter“, als Nachfahre von Propheten des alten Testaments von Heiligen und Päpsten und am Ende als von Gott bestimmten Herrscher präsentieren. Bei der Behandlung der spanischen und österreichischen Linien der Habsburger treten die Beschreibungen von „Influencing“ und „Fakenews“ zugunsten der Folgen der inzestuösen Machterhaltungsstrategie der Häuser eher in den Hintergrund.

Ausbruch aus der royalen Frauenrolle

Ein wunderbares Beispiel für die Bildsprache, die herrschaftlichen Portraits innewohnt, liefert Samra Kljajic mit der Biografie und Selbstdarstellung der englischen Königin Elisabeth I., jener Frau, die als machtvolle Bezwingerin der spanischen Armada, als „Virgin Queen“ und „ewig jugendliche Schönheit“ in die Geschichte eingegangen ist. Die Autorin beschreibt, wie Elisabeth persönlich Details der Bilder an ihre Auftragsmaler gegeben hat, welchen Einfluss ihre Selbstdarstellung auf das Schönheitsempfinden der damaligen Gesellschaft hatte und wie wichtig ihre Art der Selbstdarstellung für eine weibliche Regentin war, die es nach traditionellen Vorstellungen gar nicht geben durfte. Auch bei dem legendären Sonnenkönig, jenem absolutistischen französischen Herrscher, der in Persona den Mittelpunkt des Reiches darstellte, gehörte die Selbstinszenierung und die Einflussnahme auf das alltägliche Leben an Hof zu den wesentlichen Prinzipien der Machterhaltung aber auch der gesellschaftlichen Stabilität. Dass sowohl Elisabeth als auch Ludwig extrem eitel waren, ist da zweifellos eine hervorragende Voraussetzung. Auch Napoleon, der Emporkömmling, gehörte zu jenen Figuren der Geschichte, die es schafften, Mythen und Legenden zu erschaffen, die sich noch heute (teils fälschlicherweise) um ihn ranken. Mit Queen Viktoria gelangen die LeserInnen schließlich in die Zeit der industriellen Revolution, der britischen Imperiums und der von ihr geprägten Mode- und Moralvorstellungen des viktorianischen Zeitalters.

Influencen für die Wirtschaft

Die industrielle Revolution veränderte die Medienlandschaft noch einmal drastisch und neben den Royals der europäischen Welt eroberten bald auch bürgerliche SelbstdarstellerInnen die Herzen, Schönheitsvorstellungen und modischen Ansichten der immer breiter werdenden Öffentlichkeit. Nun, bereits im 19. Jahrhundert entfaltete sich eine florierende Beauty-Industrie, die schließlich zum sogenannten „Geltungskonsum“ führte, der nicht nur der Industrie, sondern eben auch jenen, die wir heute in unserem Sprachgebrauch unter „Influencer“ führen, ganz neue Märkte öffnete, und die mit den Zielen und Hintergründen royaler Selbstdarstellung m.E. nur noch wenig gemein haben.


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 4/5
Blogger: Wolfgang Schwerdt

Wolfgang Schwerdt

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Klappentext

Selfie mit dem Sonnenkönig

Sachbuch von Samra Kljajic
Cover: Selfie mit dem Sonnenkönig

Keeping up with the Habsburger & Co

»Samra vom Instagram-Account Geschichtegram erzählt in ihren Reels so unterhaltsam von der Mode, der Liebe und dem Drama der europäischen Königshäuser, dass die Kardashians im Vergleich langweilig wirken.« SZ-Magazin

Statussymbole, Selbstdarstellung und Fake News – ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass diese Phänomene keine Begleiterscheinungen der Digitalisierung sind. Samra Kljajic stellt uns die Influencer früherer Zeiten vor: Historische Persönlichkeiten und Bekannte aus dem Geschichtsunterricht werden hier von einer anderen Seite gezeigt. Wer hätte vor 250 Jahren die meisten Follower gehabt? Wer machte das erste Selfie überhaupt? Und welchen Erfindungen haben wir den steilen Weg in die Moderne zu verdanken? Mit enormem Wissen und unerwarteten Facts zeigt uns die Autorin, dass die Wirkungsweisen von Social Media älter sind, als wir glauben, und wie einzelne Menschen lange vor der Erfindung des Internets enorme Reichweiten erzielten.

  • Die Weltgeschichte der Selbstdarstellung - skurril, machthungrig, menschlich
  • Unerwartete Facts, die die Weltgeschichte veränderten

Wusstest du, dass lange vor Tinder, Gemälde an potenzielle Verehrer verschickt wurden?

Wusstest du, wie der »Sonnenkönig« Ludwig XIV. seine Schuhe am liebsten trug? Mit hohem rotem Absatz, vielen Schleifen und Spitze!

Die Autorin ist auf Social Media bekannt als @geschichtegram und @geschichtetok

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