Wolfgang Schwerdt

kulturstrom

Bernhard Nocht

19.02.2025 - 14:37 Uhr
Cover: Bernhard Nocht

Seit wenigen Jahren setzt sich das renommierte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg mit der Geschichte seines Namensgebers auseinander. Inzwischen liegt neben dem Gutachten des Historikers Thomas Großbölting von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg auch die Biografie „Bernhard Nocht. Der Organisator der deutschen Kolonialmedizin“ von Markus Hedrich vor, die ich hier vorstelle.

Der Kolonialimperialismus und sein Erbe

Als ich vor rund 40 Jahren für einen Hörfunkbeitrag zum Thema „Geschichte der Schifffahrtsmedizin“ recherchierte, da war meinen Interviewpartnern am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Düsseldorf und dem Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, der koloniale Hintergrund der Tropenmedizin, seiner Institutionen und Persönlichkeiten bestenfalls eine Randbemerkung wert. Und erst seit wenigen Jahren entwickelt sich im Rahmen von Forschungsprojekten und entsprechenden Publikationen das komplexe Bild der politisch-ökonomisch-wissenschaftlichen Strukturen des deutschen Kolonialimperialismus und seines wirtschaftlichen, kulturellen und ideologischen Erbes. Die Bernhard Nocht-Biografie von Markus Hedrich, Wissenschaftler des historischen Seminars der Universität Hamburg, der unter anderem an einer Geschichte des Instituts für Tropenmedizin arbeitet, liefert einen weiteren wichtigen Baustein zur Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels deutscher Geschichte.

Glühender Verfechter des Kolonialismus

Dass Rassismus eine zwingende ideologische Grundlage des Kolonialismus darstellt, ist längst hinreichend belegt. Insofern ist es auch keine Überraschung, dass der moralische Kompass Bernhard Nochts ebenso wie der seines Lehrers Robert Koch und der meisten, wenn nicht aller der anderen einflussreichen Protagonisten der kolonialen Hochzeit rassistisch begründet war. Und Nocht war nicht nur Mediziner und Gesundheitsmanager der Stadt Hamburg und internationaler Repräsentant deutscher Tropenmedizin, sondern eben auch ein glühender Verfechter des Kolonialismus und aktiver Organisator der Kolonialmedizin. Und als die Zeit des Kaiserreichs und des deutschen „Platzes an der Sonne“ vorüber war, entwickelte er sich zum eingefleischten Kolonialrevisionisten, der sich in der Hoffnung auf die „Rückgewinnung der deutschen Kolonien“ am Ende gerne für das Naziregime vereinnahmen ließ.

Das Netzwerk der kolonialen Generation

Keine Frage, Nocht hatte seine Verdienste um die wissenschaftliche Erforschung der Tropenkrankheiten, der Seuchenprävention und nicht zuletzt der Schiffsmedizin. Doch die zentrale Motivation seines Handelns war, wie Markus Hedrich aufzeigt, die medizinische Unterstützung der Kolonialisierung, und des überseeischen Kolonialhandels durch die Konzentration der kolonial- und schiffsmedizinischen Forschung und Ausbildung an den Hamburger Instituten unter seiner Leitung. Das Buch geht durchaus über eine reine Biografie hinaus. Es beschreibt das „sich entfaltende Netzwerk kolonialer Experten einer kolonialen Generation“, in dessen Beziehungsgeflecht sich der karrierebewusste Tropenmediziner hervorragend zu bewegen wusste. In seinem Vorwort formuliert es der Historiker an der Universität Hamburg folgendermaßen: „Ein deutsches Leben und als solches durchaus typisch für die Eliten zwischen Kaiserreich, Republik und Führerstaat.“

Die Gegenwart und das koloniale Erbe

Die Biografie Nochts spricht durchaus für eine Umbenennung des Instituts, das seinen Namen der Ehrung des Gründers durch die Nazis zu verdanken hat. Sie regt aber auch dazu an, sich über diesen Aspekt hinaus immer wieder und intensiver mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands, ihren ideologischen Grundlagen und den Folgen auseinanderzusetzen und die Erkenntnisse in Zusammenhang mit aktuellen politischen Tendenzen und Entwicklungen zu setzen.


Gesamtbewertung: 4/5
Cover: 4/5
Handlung: 4/5
Blogger: Wolfgang Schwerdt

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Klappentext

Bernhard Nocht

Autobiographie von Markus Hedrich
Cover: Bernhard Nocht In der Biografie des Gründers des weltberühmten Hamburger Tropeninstituts verdichten sich Kolonialismus, Nationalismus und modernes Gesundheitsmanagement.

Bernhard Nocht (1857-1945) galt Zeitgenossen als »Vater der deutschen Tropenmedizin«. Aus kleinen Verhältnissen stieg er zum Gründungsdirektor des bekannten, heute nach ihm benannten Hamburger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten sowie zum Rektor der Universität Hamburg auf. Als Schüler Robert Kochs stand Nocht dabei im Schnittpunkt bakteriologischer und hygienischer Diskurse, die er bald auch im Sinn eines modernen Gesundheitsmangements prägte. Strategisch geschickt machte er sich und sein Tropeninstitut unentbehrlich für die Ausbildung kolonialer Ärzte und etablierte wissenschaftliche Netzwerke etwa zum Reichskolonialamt, zum Oberkommando der Schutztruppen und in die internationale Tropenmedizin. Markus Hedrich erzählt Nochts Vita erstmals fundiert und fragt nach den Schnittpunkten von modernem Gesundheitsmanagement, Militarismus und kolonialer Expansion. Neben Nochts eigenen Forschungen zu Malaria und Beriberi thematisiert der Autor auch dessen politische Verhältnisse in drei politischen Systemen vom Kaiserreich bis zum NS-Regime. Hierbei steht Nocht auch exemplarisch dafür, wie sich »die Totalität dessen was Kolonialismus ist« (Jürgen Zimmerer) in einem gelebten Leben niederschlägt und wie kolonial geprägte Akteure den Kolonialismus weiter vorantrieben und beeinflussten. Diese Biografie ist eine Studie über sensationelle medizinische Erfolge, aber auch über rassistische Kolonialgewalt – von Nochts ersten Schritten als Marinearzt auf einem deutschen Kanonenboot in der Südsee bis zu seinem Freitod im Juni 1945.
Reihe
3.5 5

Hamburger Beiträge zur Geschichte der kolonialen Globalisierung


Dieses Buch gehört zu der Reihe
»Hamburger Beiträge zur Geschichte der kolonialen Globalisierung« und umfasst derzeit etwa zwei Bände.

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