Geschichte Brasiliens (1500–1627)
Jahrhunderte lang überdauerte die „Historia do Brasil“ des obersten Provinzials aller Franziskanerniederlassungen in Brasilien in Form von Fragmenten und Abschriften in portugiesischen und brasilianischen Archiven. 2008 publizierte die brasilianische Professorin Maria Lèda Oliveira erstmals eine Rekonstruktion des Originalmanuskriptes von 1624. Diese Edition bildet die Grundlage für die deutsche Ausgabe der „Geschichte Brasiliens“ durch Professor Franz Alto Bauer von der LMU München. Der Autor hat allerdings nicht lediglich eine Übersetzung des Originaltextes angefertigt, sondern auch eine erhebliche sprachliche Überarbeitung vorgenommen und zahlreiche Anmerkungen hinzugefügt. Und so lässt sich der ursprünglich aus komplizierten Satzkonstruktionen bestehende Text aus dem 17. Jahrhundert nun gut lesen, hat aber dennoch nichts von seiner Authentizität verloren.
Die portugiesische Landnahme in Südamerika
Begreift man Brasilien als eine geografische Region des südamerikanischen Kontinents, so hat die Niederschrift des Franziskanermönchs natürlich so gut wie gar nichts mit der Geschichte Brasiliens zu tun. Vielmehr stellt das Werk die Dokumentation eines Abschnitts der Geschichte europäischen Kolonialismus aus Sicht der Kolonisatoren dar, im konkreten Fall die der portugiesischen Landnehmer. Und so beginnt der Geistliche sein erstes Buch der Geschichte Brasiliens mit der „Entdeckung“ und „Inbesitznahme“ des südamerikanischen Kontinents durch Pedro Alvares Cabral. Die Rechtfertigung für die Inbesitznahme des Landes bestand in der Feststellung, dass die Indigenen die Neuankömmlinge freundlich begrüßten und „sogleich“ und „freudig“ den katholischen Glauben annahmen.
Bei der folgenden Beschreibung des Landes wird do Salvador nicht müde, den Reichtum an Tieren, Pflanzen, Bäumen und Bodenschätzen zu loben und deren Ausbeutung zugunsten des Mutterlandes zu kritisieren sowie die mangelnde Bereitschaft zu kritisieren, in Brasilien selbst zum Nutzen der Siedler beispielsweise in Infrastruktur, zu investieren. Dass die Indigenen aufgrund ihrer „barbarischen“ Kultur einer systematischen Missionierung durch die franziskanischen Brüder bedürfen, versteht sich von selbst.
Im Namen der Krone
Im zweiten Buch beschreibt der Chronist die systematische Inbesitznahme der brasilianischen Küste, die der portugiesische König bald in Form von sogenannten Kapitanien großzügig an mehr oder weniger ehrenwerte Untertanen zur Nutzung und „Erschließung“ vergab. Dabei beleuchtet er sowohl die Konflikte und die hemmungslose Versklavung der Einheimischen, das Aufblühen der Zuckerindustrie und natürlich die Auseinandersetzung mit europäischen Konkurrenten um die Ausbeutung des Landes, allen voran den Franzosen. Diese Konflikte nahmen naturgemäß noch zu, als der portugiesische König Johann III die konsequente Besiedlung und „Erschließung“ Brasiliens befahl und zu diesem Zweck Generalgouverneure einsetzte. Im „Dritte Buch der Geschichte Brasiliens“ beschreibt do Salvador die Zeit zwischen 1549 und 1581, die mit der Entsendung des Generalgouverneurs Tomé de Sousas beginnt und der Ermordung des sechsten Gouverneurs, Lorenzo de Veigas, endet. Bereits mit der ersten königlichen Armada reisten 1000 Soldaten, 400 Verurteilte, sechs Jesuitenpadres sowie weitere Priester und Laien in die profitträchtige Kolonie und weitere sollten folgen.
Kolonialkriege
Im vierten und fünften Buch der „Geschichte Brasiliens“ werden schließlich die Konflikte und die Aktivitäten ihrer Protagonisten von 1581 bis 1626 beschrieben, die sich sowohl zwischen den Indigenen (mal versklavt, mal militärische Bündnispartner verschiedener europäischer Konfliktparteien, mal Aufständische) und den Kolonialisten als auch den Portugiesen und den europäischen Konkurrenten aus England, Frankreich und den Niederlanden entwickelten. Dabei nehmen die Eroberungen der Niederländer einen immer größeren Raum ein. 1624 eroberte eine holländische Flotte sogar das heutige Salvador und die damalige Hauptstadt Brasiliens. Dass diese Besetzung im folgenden Jahr wieder aufgegeben werden musste, konnte der Chronist mit Abschluss seines Werkes 1627 noch dokumentieren. Die Auseinandersetzung der europäischen Mächte Portugal und Niederlande auf und um fremden, also südamerikanischen Boden allerdings sollte sich noch bis 1654 hinziehen, als die Niederländer auch den letzten Stützpunkt ihrer Kolonie Niederländisch Brasilien, Recife, zugunsten Portugals aufgeben mussten. Aber das erlebte do Salvador, der irgendwann zwischen 1636 und 1639 verstarb, nicht mehr.
Bedeutende Quelle zur frühen Kolonialgeschichte
Frei Vincente do Salvadors Geschichte Brasiliens gilt als die bedeutendste Quelle zur frühen Kolonialgeschichte Brasiliens und ist durch die deutsche Übersetzung und die sprachliche Anpassung erstmals auch einem breiten deutschsprachigen Publikum zugänglich. Es liegt auf der Hand, dass der Franziskaner die Geschichte und Ereignisse nicht als Unbeteiligter und aus dem damaligen Zeitgeist und Selbstverständnis eines christlich-europäischen Welt-Herrschaftsanspruchs niedergeschrieben hat. Und gerade das mach die Lektüre, die um aufschlussreiche zeitgenössische Karten zu den einzelnen Kapitanien ergänzt ist, so spannend. Do Salvadors Geschichte Brasiliens ist also eine durch und durch Europäische. Die südamerikanische Geschichte Brasiliens mit ihren alten Kulturen und Zivilisationen, die bei dem Chronisten keine Berücksichtigung finden (können) und sich der aktuellen Forschung erst seit wenigen Jahrzehnten zu offenbaren beginnt, muss erst noch geschrieben werden.
Frei Vicente do Salvador: Geschichte Brasiliens 1500 – 1627. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Franz Alto Bauer. Schnell & Steiner 2023. Hardcover, 400 Seiten.
Wolfgang Schwerdt
Blogger bei LeseHitsBücher zu Kulturgeschichte, Seefahrt, Mensch-Tier-Studien und me(h)er.