Wolfgang Schwerdt

Leseprobe zur Rotbartsaga, Südpazifische Abenteuer

08.06.2024 - 09:24 Uhr
Cover: Rotbartsaga

Spiky gab sein Bestes, um der getüpfelten Beutelmarderdame zu folgen. Die aber schien sich einen Spaß daraus zu machen, den in ihren Augen recht unbeholfenen Besucher vorzuführen. Blitzschnell flitzte die Getüpfelte durch das mit niedrigem Buschwerk und Grasbüscheln bestandene Gelände. Gelegentlich huschte sie einen Eukalyptus empor und beobachtete interessiert, wie Spiky nach ihr suchte. Kurze Zeit später machte die Beutelmarderin, auf den Hinterbeinen stehend, den ratlosen Terrier nur wenige Meter entfernt auf sich aufmerksam, nur um den Blicken des Verfolgers gleich wieder zu entschwinden.
Unter normalen Umständen hätte Spiky längst aufgegeben, aber es waren ja keine normalen Umstände. Und so war er auf der Jagd nach dem aufgedrehten Beuteltier, ohne es zu merken, mitten in eine grasende Känguruherde geraten und mit einer Vertreterin der hüpfenden Art zusammengerauscht.
„Kannst du nicht aufpassen?“ Das Känguru schnalzte aufgeregt, während es sich wieder aufrichtete.
„Ja, kannst du nicht aufpassen?“ Aus dem Beutel der Mama schob sich der Kopf des Babys und starrte Spiky neugierig an. Spiky starrte erschrocken zurück, machte vorsichtig ein paar Schritte rückwärts und jaulte laut auf.
„Pass doch auf, du Trampel“, schnaufte der Schnabeligel, der sich vorsorglich zusammengerollt hatte und dessen Stacheln sich in den Allerwertesten des Hundes bohrten. Die Getüpfelte zwitscherte vor Vergnügen, sorgte nun aber dafür, dass ihr Spiky problemlos und unfallfrei folgen konnte.
„So, da sind wir, hier habe ich deinen Kumpel zuletzt gesehen“, plapperte sie, als sie schließlich an einer gut versteckten Erdhöhle angekommen waren. „Sicherlich bist du müde, genau wie ich. War eine anstrengende Nacht.“
Spiky blieb unschlüssig stehen und ließ das mausähnliche Tier fallen, das er die ganze Zeit im Maul mitgeschleppt hatte. Weit und breit war nichts von Rotbart zu sehen.
„Da hast du deine Beute“, wuffte er enttäuscht und richtete den Blick zum Himmel, während die Beutelmarderin weiterschnatterte.
„Oh danke, hätte nicht gedacht, dass du dein Versprechen hältst. Dann werde ich mich mal in mein Nest zurückziehen, die Jungen haben bestimmt Hunger. Wo willst du denn dein Nest bauen? Soll ich dir vielleicht noch dabei helfen? Kannst dich gerne hier in der Nähe niederlassen …. ich hätte dich ja zu uns eingeladen, aber bei mir und den Jungen ist es einfach zu eng … na gut, dann eben nicht, schlaf gut“, die Getüpfelte wirkte unentschlossen, „dann gehe ich jetzt in mein Nest.“ Und da Spiky nicht reagierte, verschwand sie schließlich zwischen dem Buschwerk.
Der leichte Nieselregen, der aus den tiefhängenden Wolken fiel, passte zu Spikys Stimmung. Längst war der Tag angebrochen und das mehr oder weniger heimliche Treiben der nachtaktiven Tiere war dem Gezwitscher der Vogelwelt gewichen, die abgesehen von Kängurus und Kleinbeutlern nun das Kommando auf der Insel übernommen hatte. Natürlich hatten auch die allgegenwärtigen Flötenstare in ihren Nestern hoch oben in den Eukalyptusbäumen ihr Konzert aufgenommen. Gemessenen Schrittes wanderte eine Herde Emus zwischen den ebenfalls grasenden kleinen Kängurus umher und in nicht allzu großer Ferne konnte Spiky im Geäst eines niedrigen Eukalyptusbaumes das mächtige Nest eines Keilschwanzadlers erkennen. So einen hatte er schon in den letzten Wochen von Bord aus beobachten können, wie er in flachem Gleitflug seine Beute schlug oder zusammen mit anderen Artgenossen auf dem Boden verfolgte. Er würde sich vorsehen müssen, denn Lebewesen seiner Größe passten durchaus ins Beutespektrum der großen Raubvögel. Bei seinem nächsten Gedanken zuckte Spiky zusammen: Auch Rotbart könnte leicht ein Opfer dieses Vogels geworden sein.
Fast unmerklich hatte der Wind gedreht, ein wenig nur, aber es reichte, um einen ganz bestimmten Geruch in Spikys empfindliche Nase zu wehen. Es war der dem Terrier bestens bekannte Geruch eines legendären Schiffskaters. So froh Spiky auch war, seinen Lieblingsfeind endlich gefunden zu haben, so sehr beunruhigte ihn die Tatsache, dass dem Rotbartgeruch eine leichte Note geronnenen Blutes beigemischt war. Nicht weniger beunruhigend war, dass sich der Adler in seinem Nest aufgerichtet und bereits seine Flügel ausgebreitet hatte, um sich auf eine Beute zu stürzen, die er fest im Blick zu haben schien. Spiky handelte sofort und entschlossen. So schnell ihn seine verhältnismäßig kurzen Beine trugen, raste er laut „aus dem Weg, aus dem Weg“ bellend zwischen den auseinanderstiebenden Pflanzenfressern auf jene unsichtbare Stelle zu, an der sich die Flugbahn des Adlers mit der Richtung, aus der der Geruch kam, schneiden würde.
Der Greifvogel und der Terrier erreichten den Zielort beinahe zur gleichen Zeit. Erst im letzten Moment registrierte der auf seine Beute fixierte Adler den Hund, der mit gewaltigem Sprung wie ein Geschoss mit geöffnetem Fang auf ihn zuraste. Völlig überrascht kippte der große Vogel zur Seite und landete unsanft auf dem Boden, um den schnappenden Kiefern seines Gegners zu entgehen. Blitzschnell rollte sich Spiky ab und wandte sich sofort zähnefletschend wieder dem Adler zu, der sich gerade sortiert hatte und nun seinerseits einen Angriff startete. Nur mit Mühe und nicht immer gänzlich konnte der Terrier den scharfen Klauen des riesigen Greifvogels ausweichen. Am Ende aber siegte die Wendigkeit und Entschlossenheit eines MacHatchs und der Vogel, der seinerseits den einen oder anderen Biss hatte einstecken müssen, trat schließlich den Rückzug an.
Mit zitternden Flanken und blutigem Fell stand der Sieger auf dem lichten Eukalyptushain und bemerkte kaum, wie sich die dunklen Wolken verzogen hatten und über den blauen Himmel nun weiße Wolkenbänke segelten. Und auch die Bedeutung des Gemaunzes, das sein Ohr erreichte, drang noch nicht vollständig in sein Bewusstsein.
„Hättest du das Gleiche auch für mich getan?“ Rotbart konnte kaum das Schnurren unterdrücken, so glücklich war er über Spikys Erscheinen. Aber natürlich konnte er das nicht zugeben. Und so hatte er sich schnell auf das Spotten verlegt, bevor es noch mit ihm durchging und er möglicherweise begann, ausführlich zu köpfeln und liebevoll die Wunden seines Retters zu lecken. Außerdem war er ja sowieso nicht in Gefahr gewesen, denn er hatte den Raubvogel tatsächlich rechtzeitig gesehen und sich im Buschwerk in Sicherheit gebracht. Ganz im Gegensatz zu dem Nasenbeutler, der immer noch wie erstarrt dasaß und noch gar nicht fassen konnte, dass er nicht Opfer des Adlers geworden war.
„Hättest du das Gleiche für mich getan?“ Langsam kam Spiky wieder zu Bewusstsein und als er erkannte, dass er Rotbart tatsächlich gefunden hatte und der auch noch am Leben war, begann sein Schwanz ein wild wedelndes Eigenleben zu entwickeln, während sein Vorderteil knurrend antwortete: „Wohl kaum.“
„Und was machst du dann hier?“
„Musste mir mal die Beine vertreten, die ganze Zeit an Bord, da rostet ein MacHatch ja ein. Und du?“
„Ging mir ähnlich!“
Spiky betrachtete seinen Kumpel ein wenig genauer. Kein Wunder, dass seinem Geruch eine Note geronnenen Blutes anhaftete. Der Kater sah recht mitgenommen aus und musste wohl auf seiner unfreiwilligen Flussreise so einiges erlitten haben. Aber Katzen sind bekanntlich zäh und Rotbarts Sprüche zeigten, dass es ihm schon wieder recht gut ging.
„Du solltest dich langsam verpissen“, wuffte Spiky den immer noch verstörten Nasenbeutler an. „Irgendwann kommt der Adler bestimmt zurück und ich werde hier keine Wurzeln schlagen, um dich noch einmal zu retten.“


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 5/5
Handlung: 5/5
Spannung: 5/5
Blogger: Wolfgang Schwerdt

Wolfgang Schwerdt

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Klappentext

Rotbartsaga

Historische-Romane von Wolfgang Schwerdt
Cover: Rotbartsaga 1658 tritt Rotbart mit seiner Crew seine zweite große Reise, diesmal in den Südpazifik, an. Dort erwartet sie ein befremdliches Universum ganz ohne Katzen, dafür aber mit stinkenden Teufeln, Monstervögeln, Riesenhüpfern und Zweibeinern, die über unheimliche spirituelle Kräfte verfügen. Als ob das noch nicht genug ist, haben es die Schiffssamtpfoten auch noch mit einem wahnsinnigen Kapitän zu tun, der den Zorn der Klabautermiez auf sich zieht.
Zurück in bekannten Gefilden treffen sie in den ostindischen und südafrikanischen Katzenspelunken auf alte Bekannte und bei ausgiebigen Gelagen wird so manches Abenteuer, hinter vorgehaltener Pfote erzählt, noch etwas wilder und der Kampf noch ein bisschen gefährlicher. Aber nicht einmal für den legendären Käpt'ns Dream oder kurz Dreamie, einem Fleisch-Cheddar-Minze-Pie, würden sie die Planken missen wollen, die für Schiffskatzen die Welt bedeuten.
Reihe
1 34

Rotbartsaga


Dieses Buch gehört zu der Reihe
»Rotbartsaga« und umfasst derzeit etwa vier Bände.

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