Wolfgang Schwerdt

Person und Persönlichkeit

08.06.2024 - 16:28 Uhr
Cover: Person und Persönlichkeit

Die Notwendigkeit oder wenigstens Möglichkeit, Tiere als Personen und Persönlichkeiten zu betrachten, wird derzeit heiß diskutiert. Dabei geht es nicht nur um Fragen des Tierschutzes oder des Tierwohls, sondern ganz grundsätzlich um unser Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren. Und dass die Antwort auf diese Frage vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir seit Jahrtausenden gewohnt sind, nichtmenschliche, aber auch menschliche Tiere zu nutzen, recht komplex und kompliziert ausfallen kann, versteht sich von selbst.

Ethische, moralische, juristische und praktische Aspekte des Personenstatus

Schon im ersten Aufsatz, in dem die Völkerrechtlerin Anne Peters die Notwendigkeit internationaler Tierrechte verhandelt, wird deutlich, dass es bei all den Fragen nicht zuletzt auch um Menschenrechte geht. Denn, so zeigt sie auf, die starre Trennung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren kann zur Entmenschlichung von Randgruppen führen. Die folgenden Beiträge des ersten Abschnitts „Konzepte von Personalität in Recht und Ethik“ diskutieren die Relevanz der Personendefinition unter unterschiedlichen Aspekten. Dabei wird klar ist, dass nicht nur die Definition von Person, sondern auch der in diesen Begriff eingeschlossene Kreis von Lebewesen je nach Gesellschaftsform und kulturellen Hintergründen ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Mensch und Tier haben kann. So fordert Agustin Fuentes einen „Belmont Report für Tiere“. Seit 1978 legt der sogenannte Belmont Report verbindliche Richtlinien für die Forschung am Menschen fest. Da auch Nichtmenschen Personen sein können, so Fuentes, müsse das dem Report zugrunde liegende Prinzip „Respekt für Personen“ in angemessener Form auch auf nichtmenschliche Tiere ausgeweitet werden. Spannend ebenfalls die Diskussion um den Begriff der Quasi-Person und nicht zuletzt die Einordnung des bürgerlichen Personenverständnisses als gewaltvoll und Legitimationsgrundlage für kapitalistische Produktionsprozesse.

Erlernte Verhaltensmuster gegenüber nichtmenschlichen Tieren

Der zweite Abschnitt „Mediale Konstruktionen von Personen in Literatur, Hörspiel, Film“ liefert dem/der LeserIn ganz spannende und unerwartete Perspektiven auf die Frage, warum wir uns mit Tierrechten so schwertun. Besonders beeindruckend die Analyse von Maneke Bondzio Becker der Kinder- und Jugendhörspiele aus der Reihe Die drei ???. Hier belegt sie anhand von zahlreichen Textbeispielen, wie die handlungstragenden Tiere als Nichtpersonen gehandelt und diese Idee gewissermaßen bereits in das Werteschema von Kindern und Jugendlichen eingeschrieben und damit verfestigt und normalisiert wird. Auch wenn die von den folgenden Autoren behandelten Filme und Romane nicht jedem/r LeserIn geläufig sein dürften, die Auseinandersetzung mit dem Spielfilm Wild und dem Roman Die Wand liefert eine Reihe von Denkanstößen und Perspektiven zu kulturellen Vorstellungen der Mensch-Tier-Subjektpositionen.

Mit Kunst ganz nah an die tierliche Persönlichkeit

Im dritten Abschnitt widmen sich die Autoren Tierlichen Persönlichkeiten und AkteurInnen, nähern sich also anhand von „Franz dem Pferd“ oder dem Hund „Carlos von den Hügeln“, der sich als Künstlerpersönlichkeit und Person des öffentlichen Lebens einen Namen gemacht hat.

Wie in jeder Tierstudienausgabe werden auch diesmal künstlerische Beiträge zum Thema geliefert. Dabei geht es in sehr unterschiedlichen Projekten vor allem um die Darstellung von tierlichen Personen oder Tierpersönlichkeiten. Diese Projekte konfrontieren den/die LeserIn auf sehr greifbare, persönliche Weise mit dem Fakt, dass auch nichtmenschliche Tiere als eigenständige Persönlichkeiten darstellen, die sowohl untereinander als auch mit nicht artgleichen Individuen persönliche Beziehungen aufzubauen, in der Lange sind. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf die allseits bekannten Haustierpersönlichkeiten, sondern auch auf Individuen wilder Spezies, Herden- oder Schwarmtiere.

Alles in allem hat sich Tierstudien 25 wieder einmal einem spannenden, denkwürdigen und sicher auch anspruchsvollen Thema zum Mensch-Tier-Verhältnis gewidmet, bei dem allerdings, wie die Herausgeberin Jessica Ullrich in ihrem Editorial andeutet, nur ein Teil des thematischen Spektrums, behandelt werden konnte.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Bei manch einem Beitrag macht die übermäßige Verwendung einer spezifischen Fachsprache die Lektüre nicht nur für Nichtakademiker außerordentlich „Widerständig“. Das ist – wie andere Ausgaben der Tierstudien und auch Beiträge in Tierstudien 25 selbst sowie das Editorial belegen - nicht nur unnötig, sondern wird der Bedeutung der aufgegriffenen Thematik und dem interdisziplinären Anspruch der Tierstudien m.E. auch nicht gerecht.

Jessica Ullrich: Tierstudien 25. Personen und Persönlichkeit. Neofelis 2024. Taschenbuch 173 Seiten.


Gesamtbewertung: 5/5
Cover: 4/5
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Wolfgang Schwerdt

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Bücher zu Kulturgeschichte, Seefahrt, Mensch-Tier-Studien und me(h)er.

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Klappentext

Person und Persönlichkeit

Autobiographie von Jessica Ullrich
Cover: Person und Persönlichkeit

Dieser Tierstudien-Band beschäftigt sich mit Fragen nach dem Personenstatus von Tieren und mit dem Phänomen tierlicher Persönlichkeiten. Dass Tiere Individuen und Subjekte ihres Lebens sind, unterschiedliche Charaktereigenschaften und eigene Interessen haben, wird kaum noch bestritten. Doch dass sie Personen sind, wird ihnen in der Regel abgesprochen.

Dabei kämpfen Tierrechtsorganisationen schon lange für die Anerkennung des Personenstatus von Tieren: Tiere sollen als Rechtspersönlichkeiten mit einem einklagbaren Recht auf Leben sowie körperliche und geistige Unversehrtheit verstanden werden. In vielen indigenen Epistemologien existieren Vorstellungen von tierlicher Personalität, und die meisten Haustierhalter*innen würden bestätigen, dass ihr Gefährtentier in ähnlicher Weise unersetzbar sein kann wie eine menschliche Person. Und die (Populär-)Kultur wiederum kennt ihre eigene Tierprominenz: Berühmtheiten wie die Hündin Laika, der Eisbär Knut oder auch Roman- und Filmfiguren wie Lassie und die Biene Maja sind Gestalten des öffentlichen Lebens mit eigener Biografie, sei diese historisch verbürgt oder zugeschrieben.

Entsprechend diesem Themenreichtum vereint der Band philosophische, theologische, soziologische, rechts- und kulturwissenschaftliche Perspektiven zu tierlichen Persönlichkeiten. So erläutern einige Beiträge z.B. die Notwendigkeit internationaler Tierrechte und warum auch Nichtmenschen Personen oder ‚Quasi-Personen‘ sein können. Andere nehmen mediale Konstruktionen von tierlichen Personen in Literatur, Hörspiel und Film in den Blick und stellen konkrete Tierindividuen als historische Persönlichkeiten vor. Künstlerische Bildstrecken widmen sich altgewordenen ‚Nutztieren‘ in Lebenshöfen, einem Hund als Social-Media-Star, Menschenaffen und Delfinen als Held*innen der Wissenschaft sowie individuellen Bienen.

Egal ob ein Tier domestiziert oder freilebend ist, ob es einen Namen hat oder nicht, ob es solitär oder in Schwärmen lebt: Es ist immer ein Individuum, das in vielfältige Beziehungen verstrickt ist.

Mit wissenschaftlichen Beiträgen von Nils Berliner, Maneke Bondzio-Becker, Jan Brinkmann, Agustín Fuentes, Frauke Gärtner, Nele Illner, Ina Karkani, Wolfgang Leyk, Anne Peters, Swen Schulte Eickholt und Lena Lieselotte Schuster.

Mit künstlerischen Beiträgen von Isa Leshko, Maria Lux, Anne Noble und Amanda Stronza.

Reihe
1 16

Tierstudien


Dieses Buch gehört zu der Reihe
»Tierstudien« und umfasst derzeit etwa 24 Bände.

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