Wolfgang Schwerdt

Leseprobe aus Tierliche Migranten.

08.06.2024 - 09:03 Uhr
Cover: Tierliche Migranten

Als Abel Tasman am 24. November 1642 auf die Westküste Tasmaniens gestoßen war und nach Umsegelung der Südwest- und Südostküste am Abend des 01. Dezember 1642 in der heutigen Blackman Bay Anker warf, setzten die Europäer erstmals ihren Fuß an Land der Insel. Es war dies seit Jahrtausenden Isolation der erste, wenn auch extrem flüchtige und indirekte Kontakt der Tasmanier mit Vertretern externer Kulturen. Die Indigenen ließen sich nicht blicken und nach gerade einmal drei Tagen war der Spuk des europäischen Besuches auch schon wieder vorbei. Allerdings nicht, ohne auf den Landkarten und im europäischen Selbstverständnis Spuren zu hinterlassen. So nannte Tasman die gerade erst von ihm „entdeckte“ Bucht zu Ehren des Staatsoberhauptes der Vereinigten Provinzen (der Niederlande) Frederik-Hendrik-Bucht. Auch dem gesamten Land, dessen Umrisse noch weitestgehend unbekannt waren, hatte er einen Namen verliehen: Van-Diemens-Land, nach dem ostindischen Generalgouverneur der Vereinigten Ostindischen Kompanie (V.O.C.). Nicht nur mit den geografischen Bezeichnungen machten die „Entdecker“ den Besitzanspruch auf Land, Ressourcen und Menschen deutlich. Tasman schreibt in seinem Journal über den 3. Dezember:

„Es wurde [von der Beratungsversammlung der Schiffsführungen] beschlossen, nachmittags mit dem Navigationsoffizier, dem Kapitän der Zeehaen, Gilsemanns und seinem Assistenten sowie unserem Ober-Zimmermann zur Südostseite der Bucht zu fahren. Wir nahmen einen Pfahl mit dem eingekerbten Zeichen unserer Kompanie und die Landsfahne mit, um sie dort zu hissen, damit später die Menschen sehen werden: Wir waren hier und haben das Land in Besitz genommen.“

Dies geschah mit wahrhaft heroischem Einsatz. Denn die Brandung war so stark,

„dass wir die Landung nicht versuchen konnten, ohne dass das Fahrzeug in Gefahr geraten wäre, zerschmettert zu werden. Wir ließen daher den […] Zimmermann mit dem Pfahl und der Fahne allein an Land schwimmen […] Er errichtete den Pfahl mit der Flagge etwa in der Mitte der Bucht vor dem niedrigsten von vier markanten Bäumen, die dort im Halbkreis standen.“

Tasman, der Kapitän der Zeehaen und der Kaufmannsassistent ruderten mit der Schaluppe so nah wie möglich zur Küste und machten die Inbesitznahme des Landes durch ihr Zeugnis der Aktion offiziell und in europäischen Augen rechtmäßig. Dabei spielte es gar keine Rolle, dass weder die genaue Lage noch Ausdehnung oder Umriss des postulierten Südkontinents bekannt war, dessen südliche Spitze man glaubte entdeckt zu haben. Dass es sich beim Van-Diemens-Land um eine Insel handelt, fand erst der britische Forschungsreisende und Kartograf Kapitän Matthew Flinders im Jahre 1798 heraus.

Die Kompanie war von der Entdeckung und der Inbesitznahme des abgelegenen Stückchens Landes nicht sonderlich beeindruckt und für lange Zeit interessierte sich auch kaum irgendeine der anderen europäischen See- und Handelsmächte dafür. Denn eigentlich lautete Tasmans Auftrag, den Seeweg zum Goldland Chile, das im Osten des pazifischen Ozeans verortet wurde, zu finden und am besten mit reich beladenen Schiffen nach Batavia zurückzukehren.

Nichts davon hatte Abel Tasman vorzuweisen, als er in Batavia über seine zweijährige Reise in die Südsee Bericht erstattete. Die spärlichen Informationen, die Tasman (nicht nur) über diese Insel mitbrachte, sind hinsichtlich der Thematik dieses Buches und der Diskussion um die Kultur der indigenen Bevölkerung durchaus von gewissem Interesse.

Tasmans Männer, die an Land nach Wasser, Holz und Proviant suchten, hatten zwar keine Indigenen zu Gesicht bekommen, wohl aber Spuren ihres Wirkens. So berichteten die Männer:

„dass sie Geräusche wie von Menschen sowie Laute wie von einem Horn oder einem kleinen Gong in der Nähe gehört, trotzdem aber niemanden gesehen hätten; dass sie zwei Bäume […] gefunden hätten, die mit Feuersteinen angehackt waren und deren Rinde abgeschält war. […] dass an verschiedenen vielen Stellen Bäume gesehen worden seien, die bis tief hinunter gebrannt sind; die Erde sei dort künstlich aufgeschichtet und die Bäume seien durch das Feuer so hart wie Stein geworden.“

Zudem berichteten sie von Möwen, wilden Vögeln und Gänsen und „dass in der Erde die Fährte oder Spur einiger Tiere gefunden worden sei, nicht unähnlich den Klauenspuren eines Tigers.“

Natürlich sind die Angaben sehr spärlich und allgemein, bei den Klauenspuren dürfte es sich aber mangels anderer großer Raubtiere auf der Insel um die Fährten des Beutelwolfes oder Tasmanischen Teufels gehandelt haben, die den Europäern damit erstmals zu Gesicht gekommen waren.

Weiße Besuche

Gut 130 Jahre später, am 11.03.1773, landeten die nächsten Europäer an der Küste Tasmaniens, in der später als Adventure Bay bekannten Bucht auf Bruny Island. Es waren Kapitän Tobias Furneaux und die Männer der HMS Adventure, die James Cooks Schiff HMS Resolution auf der zweiten Südseereise aus den Augen verloren hatten und sich auf dem Weg zum für solche Fälle vereinbarten Treffpunkt ein wenig auf Tasmanien umschauten. Von Furneaux‘ Bericht stammen nicht nur die ersten etwas ausführlicheren Informationen, die bis heute unsere Vorstellungen von der Kultur der im 19. Jahrhundert ausgerotteten tasmanischen Aborigine-Gesellschaften prägen, sondern auch die weitverbreitete Bewertung ihrer Lebensweise als „primitiv“, die Furneaux folgendermaßen formuliert:

„Alles in allem sind sie, soweit wir das beurteilen können, eine sehr unwissende und elende Gruppe von Menschen, obwohl sie Eingeborene eines Landes sind, das in der Lage ist, alles Notwendige zum Leben zu produzieren, und ein Klima haben, das das beste der Welt ist. Wir fanden nicht die geringsten Spuren von Mineralien oder Metallen.“

Über die Fauna weiß Furneaux folgendes zu berichten:

„Die Landvögel, die wir sahen, sind ein Vogel wie ein Rabe; einige von der Krähenart, schwarz, mit weißen Schwanzfedern und Flügeln, langem und sehr scharfem Schnabel; einige Papageien und mehrere Arten kleiner Vögel. […] Ich habe vergessen, einen großen weißen Vogel zu erwähnen, den einer der Herren geschossen hat, ungefähr so groß wie eine große Gabelweihe der Adlerart. Was Tiere betrifft, so sahen wir nur eines, das ein Opossum war. Die Fische in der Bucht sind knapp; die, die wir fingen, waren hauptsächlich Haie, Dornhaie und ein Fisch, der von den Seeleuten Teppichhai gerufen wurde, wie der Dornhai, nur voller kleiner weißer Flecken; und ein paar kleine Fische, Sprotten nicht unähnlich. Die Lagunen (die brackig sind) sind reich an Forellen und mehreren anderen Arten von Fischen, von denen wir einige mit Leinen fingen.“

Furneaux und seine Leute hatten die Inselbewohner selbst ebenso wenig zu Gesicht bekommen wie Abel Tasman 130 Jahre zuvor. Die erste direkte Begegnung mit den Europäern hatte bereits ein Jahr zuvor stattgefunden. Im März 1772 nämlich setzte der französische Südseereisende Marion Dufresne auf der Suche nach Wasser und Holz Kurs nach Van-Diemens-Land und ankerte mit seinen Schiffen in der Frederik-Hendrik-Bucht. Am 07. März ging er mit seiner Landungsmannschaft in zwei Booten an Land. Anfangs, so wird berichtet, war die Haltung der Einwohner durchaus freundlich, als sich aber ein drittes Boot dem Land näherte, bewarfen sie die Eindringlinge mit Steinen, sodass Dufresne den Rückzug anordnete. Mehrere Europäer wurden dabei verletzt und der Kapitän ließ eine Salve abfeuern, um die Aborigines zu beeindrucken. Aber auch ein weiterer Landungsversuch an anderer Stelle scheiterte an der Gegenwehr der Inselbewohner. Natürlich wurde auch das mit einer Gewehrsalve beantwortet, bei der mindestens ein indigener Mensch getötet wurde.

Seit Furneaux‘ Erkundung der Adventure Bay wurde diese ein beliebter Anlaufpunkt für europäische Forschungsreisende. William Bligh war hier zur Auffrischung der Wasser- und Holzvorräte ebenso an Land gegangen, wie die Franzosen Bruni d'Entrecasteaux und Nicolas Baudin. Spätestens 1804 fanden sich auch britische Walfänger auf Bruny Island ein.

Anmerkungen:

Antonio van Diemen (auch Anton, Anthonie, Anthony, Antonius; * 1593 in Culemborg; † 19. April 1645 in Batavia (heute Jakarta)) war 1636–1645 Generalgouverneur von Niederländisch-Indien (Wikipedia)

Matthew Flinders (* 16. März 1774 bei Donington, Lincolnshire, England; † 19. Juli 1814 in London) war ein britischer Forschungsreisender. 1795 begleitete Flinders als Midshipman den Marinearzt George Bass auf dessen Fahrt an die Südostküste Australiens und erforschte 1798 die Inseln am Osteingang der Bass-Straße. Mit Bass zusammen durchquerte er die nach diesem benannte Straße und umrundete Tasmanien.

Auf einer neuen Entdeckungsreise 1801 mit seinem Schiff Investigator folgte Flinders der Südküste Australiens von Kap Leeuwin bis zur Bass-Straße und entdeckte dabei den Spencer-Golf und den St. Vincent-Golf. Im selben Jahr erforschte Flinders auch Australiens Ostküste von Port Stephens bis Kap Palmerston und das Great Barrier Reef. Auf dieser Entdeckungsreise fand er die Einfahrt zur Bucht von Port Phillip, die kurz zuvor von John Murray gesichtet worden war. In der Torres-Straße entdeckte er die einzig sichere Durchfahrt im Norden der Prinz-Wales-Insel. Flinders hatte damit als Erster Australien ganz umsegelt. (Wikipedia)

Bruny Island ist eine Insel, die südöstlich von Tasmanien, Australien, liegt und von der Hauptinsel durch den D’Entrecasteaux-Kanal getrennt wird. Sowohl der Kanal als auch die Insel sind nach dem französischen Entdecker Joseph Bruny d’Entrecasteaux benannt. (Wikupedia)

Tobias Furneaux (* 17. August 1735 in Swilly, einem Bezirk von Plymouth, England; † 19. September 1781 ebenda) war ein britischer Entdecker. Er war der erste Mensch, der die Erde in beide Richtungen umsegelte. (Wikipedia)

Marc-Joseph Marion du Fresne, auch Dufresne geschrieben, auch Macé genannt (* 22. Mai 1724 in Saint-Malo; † 12. Juni 1772 in Neuseeland),[1] war ein französischer Marineoffizier und Fernhändler des 18. Jahrhunderts. Er hat mehrere Inseln des Indischen Ozeans für Frankreich entdeckt. (Wikipedia)

William Bligh (* 9. September 1754 wahrscheinlich in Plymouth; † 7. Dezember 1817 in London) war ein britischer Seeoffizier und Gouverneur von New South Wales in Australien. Bekannt wurde er vor allem durch die gegen ihn gerichtete Meuterei auf dem Dreimaster Bounty und durch seine darauf folgende 3618 Seemeilen (6701 km) lange Fahrt im offenen Boot von den Gewässern um Tonga im Westen Polynesiens bis zur Insel Timor im Jahr 1789. (Wikipedia)

Joseph-Antoine-Raymond Bruny d’Entrecasteaux (* 8. November 1737 in Aix-en-Provence; † 20. Juli 1793 vor den Eremiteninseln, Manus Province/Papua-Neuguinea) war ein französischer Seefahrer und Entdecker. (Wikipedia)

Nicolas-Thomas Baudin (* 17. Februar 1754 in Saint-Martin-de-Ré; † 16. September 1803 in Port-Louis) war ein französischer Seefahrer und Expeditionsleiter. Nachdem er auf Seite der USA am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilgenommen hatte, unternahm er nacheinander Forschungsreisen für Österreich und Frankreich. (Wikipedia)


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Tierliche Migranten

von Wolfgang Schwerdt
Cover: Tierliche Migranten Südsee: unberührte Natur, Paradiesvögel, traumhaft schöne Korallenriffe, Regenwälder mit wilden Tieren - das sind die Bilder, mit denen Reiseveranstalter uns an das andere Ende der Welt locken möchten. Doch die Europäer, die auf ihren Reisen in die Südsee in den letzten 350 Jahren eine für sie neue Welt entdeckten, in Besitz nahmen und den abendländischen Bedürfnissen anpassten, brachten in ihrem Gepäck tödliche Begleiter für die Flora und Fauna mit. Und sie läuteten ein Zeitalter der ungehemmten Ausbeutung und unwiderruflichen Zerstörung von über Jahrmillionen gewachsenen Ökosystemen ein.
Tierliche Migranten begleitet die Entdecker, Kolonialisten und Unternehmen bei ihren Feldzügen gegen indigene Kulturen und Tiere und gegen selbst eingeführte Schädlinge, sogenannte invasive Arten.
Die Leser lernen die Kulturgeschichte von Tierarten wie Kusu, Kasuar, Tuatara und vielen mehr kennen, die entweder aufgrund menschlicher Einflüsse bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht sind. Dabei wird auch deutlich, dass Migration viele verschiedene Facetten hat. Das Einschleppen regionenfremder Arten ist eine, die Streifzüge von Haien durch die Weiten der Weltmeere eine andere und die jährlichen Wanderungen der australischen Emus, gegen deren Bedrohung die Australier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heroische Schlachten schlugen, eine dritte.
Südsee: unberührte Natur - ein Marketingmärchen mit finsterer Vergangenheit und Gegenwart.

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