
Wo sind die lesenden Menschen geblieben?
Wir sitzen oft vor dem Bildschirm, dabei wäre Lesen die bessere Unterhaltung.
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren lesende Menschen der gesellschaftliche Normalzustand. Sie sprachen im Freundes- und Kollegenkreis über Bücher, lasen in Wartezimmern, in Warteschlangen und im Zug. Sie ließen sich von Kapitel zu Kapitel in eine andere Welt führen. Und heute? Bringen nur noch wenige die Geduld auf, sich von einer Erzählstimme tragen zu lassen, ohne ständig auf das Smartphone zu blicken.
Dabei ist Lesen doch die ultimative Unterhaltung. Es ist ein Sport, bei dem der Geist die Strecke selbst läuft. Lesen verlangt Eigenleistung, Geduld und Fantasie. Ist Lesen also Unterhaltung? Ja, aber nicht im Sinne passiven Konsums, sondern als kreative Aktivität, die Kopf und Herz fordert. Lesen bedeutet, sich eine Welt zu erschließen, die nicht sofort zugänglich ist, deren Regeln man sich erst aneignen muss und deren Figuren man sich erarbeiten muss. Und genau darin liegen die Freude und die Leistung des Lesens: Aus Sätzen, Absätzen, Dialogen, Zwischentönen und Metaphern können wunderbare Welten entstehen – wenn man bereit ist, Zeit, Aufmerksamkeit und Fantasie zu investieren.
Am Ende geht es nicht nur darum, wie viel Zeit wir fürs Lesen haben, sondern darum, wie viel Geduld und Fantasie wir dem Text geben. Lesen verlangt Leistung – nicht als Belastung, sondern als geistige Entfaltung und Befreiung. Und wer sich darauf einlässt, entdeckt: Lesen ist Unterhaltung, die sich lohnt – immer wieder neu.









